Neunundzwanzigstes Kapitel
Hochzeit
Das Licht hat gesiegt; die Nacht ist zusammengeschrumpft. Die Zeit überquellenden Lebens ist gekommen. Nirgends Mangel in der Schöpfung, überall Fülle und Überfluß an Saft und Kraft! Wonne des Vollgenusses durchflutet Flur und Wald, erfüllet Berg und Tal.
In stummem Wohlbehagen schwelgen die Krebse in der lauen Kreck; trunken von Duft und Lust Schlagen im Hag die Nachtigallen. Die strahlende Lebenspenderin ist über die Berge hinabgestiegen; aber die Nachwirkung ihres segensreichen Tagewerkes spielt fort in die Nacht hinein. Als der lautschlagende Naturpuls steigt aus den Gründen die Froschpredigt empor; dazwischen nehmen sich die trocknen Rufe des Wiesenschnarrers aus wie die Stimme eines herzlosen Kritikers, und in dem Eichenforst macht der Tauber in Klagerufen seinem gepreßten Herzen Luft.
Oben auf der Burg auf einem Dachsparren aber sitzt in tiefernstem Gespräch der Eulenvater neben seiner Ehewirtin.
„Heute mittag hatt ich einen absonderlichen Traum, so mich auf transcendentes Gebiet versetzte. Da redeten die Bäume, sangen die Blumen und philosophierten die Frösche.“
„Was machten denn die Eulen?“
„Eulen habe ich nicht gesehen.“
„Und die Menschen?“
„Die redeten durch kleine Kästchen an langen Drähten mit den Sternen.“
„Was sagten denn die Sterne?“
„Auf dem Mars wird nächstens ein Weltreisender einen Vortrag halten, wozu die Erdenmenschen eingeladen sind. Auch hat man dort ein neues Musikinstrument erfunden, so darinnen einen Vorzug hat, daß nicht Saiten, sondern Seelen aufgespannt sind; und gekrönte Häupter mit ihren Ministern spielen darauf Jubelouverturen, Schlachthymnen, Trauermärsche, Grablieder, kurz, was ihnen einfällt.“
„Das geht ja über den Poltergeist in Schweickershausen!“
„Aha! Du hilfst mir auf die Spur. Die Materia, so gestern abend unter der Burglinde beim Wein von dem Superintendenten Sebaldus Krug, dem Pfarrer Martin Bötzinger, Pfarrer Georg Böhm und dem Herrn Amtsschösser traktieret worden, hat sich bei mir im Traum zum Transcendenten gewandelt.“
„Mein hochweiser Gebieter! Ist denn der Poltergeist zu Schweickershausen nicht ein Stücklein Übernatur?“
„Geliebte Ariadne! Nicht ganz. Es hat sich zwar selbiger Geist als ein Engel in Kindsgestalt mit güldner Krone unter dem Bett gezeiget; aber ist solches nicht ein Physikum? Nachmalen hat er sich gezeiget als die Seele einer verstorbnen Weibsperson; aber hat er als solche Seele nicht seine kalte Hand gereichet und einen Schatz von neunzigtausend Dukaten versprochen? Und solches sind Physika; desgleichen auch sein schreckliches Poltern, das die Bauern furchtsam gemacht, also daß sie Hilfe beim Herrn Superintendenten gesuchet haben.“
„Und der Herr Superintendent hat sich mit dem Pfarrer von Hellingen dahin begeben und hat zur Kirche läuten lassen und in einer Predigt remonstrieret, dieser Geldgeist wäre kein guter, sondern ein böser Engel, und die Bauern hätten sich zum Teufel gekehret mit dem Handgeben, der Geldschatz wäre ein höllischer Lügenpfuhl, und sie sollten sich wieder zu Gott kehren in herzlicher Buße. War es nicht so, mein hochweiser Herr Gemahl?“
„Also war es, meine geliebte Ariadne! Unterdessen hat aber doch der Satan mit seinem Klopfen unter selbigem Bett etliche Wochen fortgefahren und einstmalen in des Superintendenten Gegenwart gerufen: Gebet mir ein Kind, so will ich weichen.“
„So wars. Und hat der Herr Superintendent geantwortet: Die Kinder sind nicht unser, sondern Gottes, der sie erschaffen und mit seines Sohnes Jesu Christi Blut erlöset hat. Und du Satan mußt noch weichen und sollst kein Kind haben.“
„Idem hat gedrohet, einem Geistlichen in hiesiger Inspektion den Hals zu brechen, nach dem Licht der Stuben geworfen und einstmals spottweis gesagt: Ich glaube auch an Jesum Christum.“
„Jawohl! Und als eine päpstliche Person heimlich geweihte Kräuter geholet und dieselben unter das Polsterbett gestecket, in Hoffnung, den Satan damit zu vertreiben, hat doch der Feind nur desto heftiger getobet.“
„Also geschehen, und ist vom Herrn Superintendenten ferner erzählt worden, daß die Herren Geistlichen haben wechselsweise mit Beten und Singen angehalten, und er selbsten vierzehnmal zu Schweickershausen bei nacht geblieben.“
„Und wie hat der Herr Superintendent gerufen, als selbiger Poltergeist endlich gewichen?“
„Soli Deo gloria in sempiterna Secula!“
„Und was hat in diesem Diskurs der Herr Martin Bötzinger geäußert? Kann sich mein allerweisester Herr Gemahl noch dessen erinnern?“
„Dessen können wir uns noch recht wohl erinnern, geliebte Ariadne. Der neubackne Theologus hat den wohlerfahrnen Herren zu vernehmen gegeben, daß solcher Poltergeist ein loser Vogel gewesen, der sie alle vexieret habe.“
„Ja! Und worauf der Herr Superintendent in heftigen Zorn geraten ist. Ich halte dafür, daß dieser junge Theologus nur mit einem Fuß in unsrer Zeit stehet, aber den andern schon in eine ferne Zukunft setzet.“
„Und dorten, geliebte Ariadne, wird es der Poltergeister mehr geben als heute.“
„Seculorum amen!“, schrie die Eulenmutter, „Evoe!“ der Eulenvater. Dann machten sie sich auf zur Mäusejagd. –
Drunten im Städtlein beim Spanlicht, oder dem düstern Schein des Ollämpchens am Familientisch, wo sie spannen oder strickten; am Wein- und Biertisch auf dem fürstlichen Haus, Rathaus, im „Stern“ u. s. w.; auf der Steinbank im Hof, auf dem Futterkasten in der Stallhalle, auf der Straße, wo junges Volk schwärmte – selbst in den Dörfern umher: überall schnurrte die Maultrommel dasselbe Lied.
Der Zacher kratzte sich hinterm Ohr, weil es ihm darin klang; der Ratsherr Michael Böhm schob aus demselben Grunde seine „Harzkappen“ auf die Seite; dem Schulmeister Joseph Bötzinger von Mupperg war es, als töne ihm das erste Orgelspiel seines Martin vom Kirchlein her ins Ohr; der Herr Pfarrer von Poppenhausen vermeinte, seine Kurrendaner von Anno 14 singen, seine Mutter die Trompeter vom Stahlbogenschießen blasen, die Frau Böhm den David harfen zu hören; der Jungfer Ursel und der Lise spielten Cherubim und Seraphim auf: es klang allen in den Ohren.
Das ist die Influenz des herannahenden großen Ereignisses. Das Gewöhnliche, Alltägliche sinkt zum Vergessen in die Tiefe, die Wogen der Seele steigen: Hochzeit ist vor der Tür – eine Doppelhochzeit!
Vor der Haustür hat der Zacher zwei Birken in großen Töpfen mit Wasser aufgestellt, desgleichen zwei größere am Hoftor; seine Stallhalle hat er in ein kleines Wäldchen verwandelt, wo er allein spazieren geht; denn der müde Großvater der Lise, der sich pünktlich als Hochzeitsgast eingestellt hat, ist zur Ruhe gegangen, die Lise aber schwelgt bei einer außerordentlichen Geschäftigkeit in ihrem künftigen Küchenberuf und muß den Herrn des Stallhallenparadieses seinem vergnügten Selbstbewußtsein überlassen.
Beim Ratsherrn Michael Böhm sitzt sein Eidam und dessen Vater, der Schulmeister Joseph Bötzinger aus Mupperg, ferner der Herr Pfarrer Georg Böhm von Lindenau, Meister Örtlein von Koburg und der Herr Superintendent Sebaldus Krug, und ein Krug vom Besten steht vor ihnen auf dem blanken Ahorntisch. Es wird von der Bedrängnis erzählt, in die das Städtlein und die Umgegend durch die Lauenburger geraten war, und Meister Örtlein, nachdem er dem großen Bedauern Ausdruck gegeben hat, das er wegen der Plünderung seines ehemaligen Pfleglings Martin Bötzinger empfindet, fügt als lebendige Fürstenchronik hinzu: „Selbiger Herzog Franz Albrecht zu Lauenburg hat vor drei Jahren im August mit dem Herzog Friedrich von Altenburg, königlich dänischem Obrister, im Duell gestanden; solches hat aber beiden keinen Schaden gebracht. Der Altenburger ist vor zwei Jahren aber bei Salsen, ohnweit Hannover, in einem Treffen gefallen.“
Auch des Meister Örtleins Ehewirtin, die sorgsame Sophel, ist mit angekommen; sie hatte keine Abhaltung mehr, da am dritten Weihnachtsfeiertag Anno 26 der alte blinde Echter sanft verschieden ist. Frau Sophel, Frau Margret Bötzinger, die Frau Böhm, Jungfer Ursel und Lise sind auf dem Rathaus noch in großen Geschäften; dort soll die Hochzeit ausgerichtet werden, und sind dazu ein Ochse, drei Schweine, vier Hammel, fünf Kälber und zwölf Lämmer geschlachtet worden, und es wird daselbst vorgebraten und gesotten.
Die Kuchen sind gebacken und wohlgeraten, auch dick mit Zucker, Zimmet und Mandelkern bestreut, und die braunen Hochzeitsbrote duften durchs Haus. Es ist gut, daß die Lauenburger Nasen von dannen sind gezogen.
Von den geschäftigen Frauen ward plötzlich Jungfer Ursel vermißt. Aber die scharfsinnige Lise gab zu verstehen, daß sie auf alle Fälle von geistlichen Angelegenheiten in Anspruch genommen werde. Dieser Einfall rief ein vergnügtes Kichern hervor, und die brave Sophel sagte spöttisch: „Na, dein Zacher hat heut schon drein geschaut wie ein Geistlicher; wie wird der morgen Gesichter schneiden!“
„Mag er Gesichter schneiden; seine schönen weißen Zähn und seine treuen Augen stehn ihm immer gut“, entgegnete etwas gereizt die Lise.
„Leg net zu viel aufs Feuer, Lise!“, warnte Frau Böhm, „daß uns der Braten net anbrennt!“
„Die Bräut schonen weder Holz noch Salz“, warf Frau Margret Bötzinger dazwischen.
„Freilich!“, rief die Lise; „aber wenn ich so viel gekocht hab wie die Hochzeitsmütter, werd ich schon auch das Schürn und Salzen gelernt habn. Soll ich net a weng nachgießen, Frau Örtlein?“ –
Jungfer Ursel hatte sich bei den Männern eingestellt, um den Weinkrug auf dem weißen Ahorntisch zu rekognoszieren, und Meister Örtlein war aufgestanden und hatte den großen Lehnsessel, der rechts von der Stubentür in der Ecke gestanden hatte, an den Tisch geschoben und die errötende Braut zum Niedersetzen genötigt: der herrlich Vogel, der sich da verflogen habe, müsse sich schon gefallen lassen, daß man ihm die Federn ein wenig zause, hatte er gemeint und recht herzlich dazu gelacht.
Seine Hochwürden, der Herr Superintendent, ließ sich also vernehmen: „Eine kluge Jungfrau sorget zwar, daß sie Öl auf ihrer Lampe hat, wenn der Bräutigam kommt; aber es gereichet ihr auch zur lieblichen Zierde, wenn sie darauf siehet, daß es den Gästen nicht an Wein gebricht, sonderlich man daran erkennet das rechte Ingenium der zukünftigen Hausfrau. Denn wie durch der Sonne Strahlen des Weines Kraft in den Reben erzeuget wird, also lässet des Weines Kraft wiederum in den Herzen die Sonne der Freundschaft und Liebe erstrahlen. Und darumb lasset uns die Kelche füllen mit goldnem Rebensaft als dem Talisman der Freundschaft und Liebe, und trinken auf das hochpreisliche Ingenium dieser zukünftigen Hausfrau!“
Der Herr Pfarrer Georg Böhm von Lindenau ergriff den großen Krug, um der Aufforderung der Hochwürden nachzukommen. Es stellte sich aber heraus, daß wirklich Jungfer Ursel von einem guten Instinkt geleitet worden war; denn nur noch an zwei Kelchen konnte das schöne Werk des Füllens vollzogen werden: der Krug war leer. Auch entdeckte Joseph Bötzinger, daß noch ein Glas für die Braut fehle. Rasch erhob sich Jungfer Ursel, zündete die große Laterne an und bat, ihr den Krug zu reichen. Aber der Herr Bräutigam bemächtigte sich seiner und folgte der im Einverständnis voranschreitenden Braut mit dem blankgeputzten Lichtgehäus. Der Ratsherr besorgte einstweilen einen Kelch für die Braut.
„Es kann sich kein Mensch einen Begriff davon machen, wie wohl mirs heut ist!“, rief Meister Örtlein. „Da der Martin – wollt sagen: der Herr Pfarrer – hat mir mit seinen Nöten manchmal die Leber rebellisch gemacht. Aber daß er nun in Amt und Würden stehet, und daß das Kind mit der blutenden Nasen auf dem Stahlbogenschießen zu Koburg Anno 14 nun so eine englische Jungfer geworden ist, und daß die beiden so glücklich aus dem Sumpf, in den sie die Irrlichter geführt hatten, herausgekommen sind zu einer fröhlichen Hochzeit: ach, ihr guter Männer! – und daß ich diese Hochzeit mit meiner Sophel erlebt hab – das ist halt für mich a Freud, als ging ich mit meiner Sophel alleweil im Paradies spazieren!“
„Er hat recht, Meister Örtlein!“, sagte darauf der Ratsherr; „wenn uns das Ohr auch manchmal weh tut, an dem uns der Herrgott rumführt: am End merken wirs erst, wer bei uns war.“
„Es ist ein schönes Pärlein, der Martin und die Ursel“, bemerkte der Herr Pfarrer Georg Böhm.
Eine schöne, gehobne Stimmung sprach aus aller Herzen.
Da aber nach Verlauf eines Viertelstündchens die Fortsetzung des Kelchfüllens noch immer nicht folgen konnte, stiegen aus den Tiefen der Hochwürden absonderliche Betrachtungen auf.
„Der Teufel gehet um wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge. Ein Brautpaar im Keller beim Weinfaß? Man hat der Exempla unterschiedlichster Art. Der Herr Martin Bötzinger möchte des Teufels Existenz gern leugnen – habs wiederholt gemerket –, aber an solche Leute macht sich der Satanas am liebsten. So schreibet Doktor Simon Pauli Anno 1572 den 16. März: Vor neun oder zehn Jahren hat der Teufel zu Domitz an der Elbe einen Schösser lebendig hinweggeführt auf den Abend, als er alles Gesinde heißen zu Bette gehen. Seine Register wohl verwahret, und alle sein Gerät hat man gefunden. Er aber ist nimmer wieder gesehen worden, und weiß niemand bis zur heutigen Stunde, wo er blieben ist.“
„Da sind sie ja!“, rief Meister Örtlein vergnügt und ging den eintretenden Brautleuten fröhlich lachend entgegen, als hätten sie eben den Teufel siegreich in die Flucht geschlagen. Er nahm dem Bräutigam den schweren Krug ab, schenkte dem Herrn Superintendenten zuerst voll ein, dann füllte er den für die Braut bestimmten Kelch; und als die Runde duftend in Fülle prangte, ergriff der Herr Pfarrer Georg Böhm seinen Kelch und rief: „Trinken wir nunmehr also auf das hochpreisliche Ingenium dieser zukünftigen Hausfrau!“
Die Gläser klangen prächtig.
Und die Hausschwalbe in ihrem Neste träumte vom hohen Lied der Liebe.
Im Osten säumte ein goldner Schein den Horizont. Die Haushähne verkündeten im kräftigsten Ton den anbrechenden Tag. Feierlich still lag das Städtchen da mit noch geschlossenen Türen und Toren. Auf dem Dachfirst wiederholte eifrig der Rotzagel in russischer Aussprache seinen Refrain ohne Lied; aber vom Giebelfenster des Michael Böhmschen Hauses herunter ließ sich die Schwalbe also vernehmen:
Frischer Morgentau
Tränkt die Blumenau ;
Nur der Sonne weicht der Morgenstern.
Tief das Herz erglüht,
Und die Myrte blüht,
Und was liebet, lobe Gott, den Herrn!
Zacher kam aus dem Stall, wo er seinen Pferden Futter aufgesteckt hatte, wo es aber noch nicht hell genug war zum Striegeln und Putzen, und begann in seinem Stallhallenwäldchen spazieren zu gehen. Bald erschien auch die Lise auf dem Platz stallwüchsiger Romantik. Zacher umfaßte sie und hob sie empor, als ob er sie durch ein Wasser zu tragen hätte. Das glückliche Mädchen zauste ihn am Ohr und sagte: „Zacher, wenns eins sieht!“ Da schwenkte sich Zacher mehrmals im Kreise, als wenn er ein schreiendes Kind zu stillen gedächte, und seine weißen Zähne schimmerten, und seine treuen Augen glänzten; dann setzte er seinen Schatz sanft auf den Futtertrog und sich daneben.
„Es ist noch vor der Kirche, Zacher, und du bist schon so ausgelassen!“
Zacher grinste: „Ist noch kein Pfarrer und Superdent da, Lise! Alleweil bin ich Hahn im Korb.“ Und er küßte seine Braut, daß der Hahn auf der Wagendeichsel im Hof mit den Flügeln schlug und vor Freude, daß der Zacher sich so sinnreich auf ihn bezogen hatte, begeistert aufkrähte. Denn so ein alter Hahn lernt am Ende auch die Sprache der Stallromantik verstehen.
„Hast du denn deinen neuen Motzen anprobiert gestern abend? Paßt er ordentlich?“
„Wie gemauert!“, antwortete Zacher. „Und die Strümpf, die du mir gestrickt hast, sind dir weiher ausgefallen, als wärn sie an meinen Beinen gewachsen. Und meine Schuhschnallen funkeln wie das pure Silber.“
„Unser Ursel hat mir ein Silberlätzlein geschenkt; das ist echt, Zacher! Und die Frau Böhm ein Kettlein – gestern nacht erst. Soll ichs holn?“
„Net, Lise! Wills net eher sehn, bis du im Staat bist.“
„Ich muß ja nun auch zu meinen Kühen und Kälbern; nachher will ich noch das Haus kehrn und frischen Sand streun.“
Das frische, glückliche Brautpaar zog sich zu seinen Pfleglingen zurück. Und diese wurden heut gestreichelt und geliebkost und im Futter so reichlich und „geschmalzen“ gehalten, daß ihre Schwänze und Ohren ganz vergnüglich spielten.
Es war am Dienstag nach Exaudi.
In dem Hause des Ratsherrn Michael Böhm war die Morgenandacht vorüber und die Morgensuppe eingenommen. Die Kirchenglocken läuteten wie an einem Festtage; eine öffentliche Trauung ward damals mit einem Predigtgottesdienst gefeiert. Die Insassen des Böhmschen Hauses waren alle daran, sich festlich zu schmücken.
Der geistliche Bräutigam hatte sich eingestellt und begab sich zur Begrüßung seiner Braut in das Giebelstübchen. Er mußte offenbar zu nicht ganz passender Zeit eingetreten sein; denn Jungfer Ursel lief, anstatt dem Bräutigam entgegen, nach einem Tuch, das sie flugs um die Schultern warf. Das machte den Herrn Pfarrer etwas verlegen, und er sagte: „Meine liebe Ursula! Ich wollte dir einen
guten Morgen bieten. Wenn ichs zur unrechten Zeit getroffen habe, so will ich wieder gehen.“ Aber Ursel flog ihm zu und warf sich dem Heißgeliebten an die Brust, daß unser geistlicher Simplicius schier die Fassung verlor. Und ob auch die Achsenanfälle, wie er sie in Koburg, Jena, Würzburg und auf dem Straufhain gehabt, längere Zeit ausgesetzt hatten: jetzt kam es wieder über ihn wie Sturm, und das Haus des Ratsherrn begann schon einen Zweitritt zu tanzen. Wer kann es dem Armen verdenken, daß er sich fest an den Gegenstand anklammerte, der ihm am nächsten war? Und als ihn seine Braut küßte und abermals küßte, und er die Augen aufschlug und sah, daß das Tuch nur noch eine Schulter bedeckte, mußte er abermals die Augen schließen, denn das Haus fing an, heftiger den Zweitritt zu tanzen.
Plötzlich schob die beherzte Ursel den trunknen Simplicius zur Tür hinaus und flüsterte ihm dabei ins Ohr: „Die Sauerweins Dorthe und die Schäftleins Anna kommen und wollen mich putzen.“
Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als die Frau Böhm die Treppe herauf kam und den Herrn Eidam zum warmen Bier zitierte.
Der Herr Pfarrer von Poppenhausen stand vor dem blanken Ahorntisch, über den die Frau Böhm mit dem Schürzenzipfel fuhr, ehe sie das Warmbier auftrug, stand da im Überglück und wußte nicht, was er anfangen sollte. Da umarmte er die würdige Hausfrau und küßte sie auf die Stirn. Und nun stand die Schwieger da und wußte nicht, was sie sagen sollte, und hatte einen roten Kopf und fuhr mit dem Schürzenzipfel nach den Augen.
„Meine liebwerte Schwieger! Seid mir nicht gram wegen meines Ungestüms. Ich hab so viel Glück auf dem Herzen, daß ich ein wenig abzuladen gedachte.“
„Mein liebwerter Herr Eidam! Gott ist mit im Schiff. Wir loben und preisen ihn. Mein
Michel hats auch gesagt. Es läutet eben das Andre; nun muß ich mich anziehen.“
Die Seele des Hauses entfernte sich, und der Bräutigam setzte sich zu seinem Warmbier.
Auf der Straße und vor den Höfen begann schon die Neugierde zu kristallisieren in Gestalt alter und junger Weiber, müßiger Mägde und ausgelassener Kinder.
„Die Sauerweins Dorthe und die Schäftleins Anna sind droben und putzen sie“, sagte Eberts Lene zur Elfers Cordel, die beide schon verheiratet waren. Die Elfers Cordel meinte: „Wie wir die Gäns mit einander gehüt habn, habn wir fei net an eine Frau Pfarrern gedacht. Weißt noch, wie ihr der wild Reiter ein Gänsle tot geritten hat?“
Es gesellte sich eine alte Frau zu den beiden und wischte sich die Nase und sagte: „He? Ihre Kuchen solln net geraten sein. Und die Hammel, die sie geschlacht habn, wärn Drehlinge.“
„Drehlinge? Die sind den Lauenburgern zugespielt worden.“
„Böhms habn gute Hammel von Römhild“, entgegnete Eberts Lene.
„Da kommt der Herr Amtsschösser geritten“, bedeutete Elfers Cordel die bei ihr stehenden. „Sein Sohn Elias und der Hans Rosefelder sind auch schon gekommen“, fügte die Alte hinzu, „die Brautführer“.
Es begann zum drittenmal zu läuten, und alles sah gespannt nach dem Michael Böhmschen Hause.
„Der hats eilig“, sagte ein Bursche zum Geigers Lurz und machte mit seinem Daumen eine Bewegung nach dem zum grünen Tor eintretenden Herrn Adjunktus Johannes Kilian von Ummerstadt.
Nicht lange darnach trat der Hochzeitszug zwischen den Maien heraus und bewegte sich majestätisch nach der Kirche. Bald aber kam er zum Stehen; denn der Stadtknecht und der Amtsbote hielten ihn mit einem roten Band auf, das sie, der eine hüben, der andre drüben, quer ausspannten. Jeder von ihnen bekam von den Brautführern ein Geldgeschenk; dann traten sie auf die Seite und präsentierten mit ihren blanken Säbeln.
Derartige Hindernisse stellten sich mehrmals ein, ehe der Zug die Kirche erreichte. Dieses „Aufhalten“ ist seinem Ursprunge nach ein heidnischer Brauch und weist hin auf die Gründung eines neuen Herdfeuers und die damit verknüpften Opfer.
Die Brautpaare und die Hochzeitsväter warfen Hände voll kleiner Münzen und Krapfen unter die gaffende Menge; und wenn so ein Opferwurf geschah, gab es jedesmal ein possierliches Suchen und Balgen, besonders unter den Buben.
Der hinter dem geistlichen Bräutigam stramm einherschreitende Zacher schnitt allerdings ganz kuriose Gesichter: mit leuchtenden Zähnen, wenn er in den Krapfensack griff und auswarf, komisch ernst, wenn er zufällig auf die Kirchenglocken hörte, erschrocken, wenn er dem Herrn Pfarrer von Poppenhausen zu nahe auf die Fersen kam.
Jungfer Ursel war der Gegenstand allgemeiner Bewunderung; sogar der Herr Adjunktus Kilian sah mehr nach der prächtigen Braut als nach dem Weg oder dem Volk. Denn hinter den Brautpaaren folgten unmittelbar die beiden Hochwürden von Heldburg und Ummerstadt.
Meister Örtlein trug an der Seite seiner glücklichen Sophel das spanische Rohr über der Achsel und den Sonnenschein des Paradieses in seinem vollkommenen Metzgergesicht und dachte dabei an den Aufzug des Winterkönigs in Prag, wobei weißer und roter Wein aus dem Brunnen floß.
Am Ende des Zuges paradierte die Gompertshäuser Großmacht auf ihrem zweirädrigen Thron. Es nahm niemand Anstoß an dieser komischen Zugabe; denn die lahme Magd galt viel und als zur Sache gehörig. Man half ihr dann vom Karren herunter und in die Kirche; und ihr Gefährt wurde einstweilen auf die Seite gebracht.
Der Herr Superintendent Sebaldus Krug hielt eine gar zierliche Predigt über den Ehestand und zeigte in drei Teilen: erstlich, was der Ehestand für eine Zusammenfügung sei, von wem sie gestiftet und geordnet, wann und wer sie angefangen; zum andern, welche Personen mögen zusammentreten und in dem Ehestand mögen zusammengefüget werden; zum dritten, warum diese Zusammenfügung durch Gott geordnet und zugelassen sei. In dem zweiten Teil wurden die beiden Brautpaare nach ihren besondern Verhältnissen und Beziehungen, mit einem Anflug von Gelehrsamkeit über die Priesterehe abgehandelt und gegen das Cölibat geeifert.
Also hat auch der Prophet Daniel am zwölften Kapitel geweissagt von dem Antichristo, daß er weder Frauen liebe, noch einiges Gottes achten werde, denn er wird sich über alles aufwerfen. Und St. Paulus 1. Tim. 3 nennet das Eheverbot eine Teufelslehre. Mit welchen Worten beide, Daniel und Paulus, den Antichrist mit Fingern zeigen, nämlich den römischen Papst, der durch das Eheverbot den ganzen heiligen Ehestand verdammt und verworfen als einen unreinen Stand.
Der priesterliche Bräutigam bekam seinen besondern Denkzettel lateinisch: Paphnutius in Concilio Nyceno sagt: Vera castitas est coneubitus cum propria uxore. Und Sankt Augustinus schreibet: Bona congscientia mihi opus est propter Deum, bona fama autem propter proximum.
Und die Braut des jungen Priesters bekam in den Ehestand den deutschen Spruch Lutheri mit:
Die Hausmutter muß selbst sein die Magd,
Will sie im Hause schaffen Rat;
Denn 's Gesinde nimmermehr bedenkt,
Was Nutz oder Schaden im Hause brengt,
Es ist ihn'n nicht gelegen dran,
Weil sie es nicht für eigen han.
Dem Zacher und der Lise tat es ins Herz hinein wohl, als der Prediger ihrer gedachte mit den Worten: „Selig ist der Knecht, welchen sein Herr in seinem Dienst treu und rechtschaffen findet.“ Solchen Trost haben die Münche und Nonnen nicht.
Die lahme Magd saß auf der letzten Bank und schluchzte vor Rührung. Ach! Sie wußte ja noch viel mehr als der Herr Superdent. Die Wichtigkeit ihrer Rolle in der Herzensgeschichte des vordern Brautpaares stellte sich voll in ihr Bewußtsein, und als der Herr Superintendent Amen gesagt hatte, brummte sie: „Sola! Sola! Recht schön, Herr Superdent, aber er weiß nix!“
Nach dem Gottesdienst und der feierlichen Trauung der beiden Paare kam auf dem Rathause die Seite des Lebens zur Ausgestaltung, von der die Entbehrung ausgeschlossen ist, und die die menschliche Gesellschaft als ein vielschlündiges Ungeheuer erscheinen läßt: der Schmaus.
Im Hintergrunde des Saales, der nur für die „Großgeladnen“ bestimmt war, saßen an der Spitze einer Tafel Zacher mit seiner Lise, an die sich der Großvater und verschiedne Bekannte des Brautpaares aus dem Städtchen, von der Burg und den umliegenden Ortschaften anreihten – im ganzen eine gesunde Gesellschaft.
Im Vordergrunde stand die „Herrentafel,“ an deren Spitze das geistliche Brautpaar prangte. Und in der Mitte hatte sich nach Bekanntschaft, Alter, Stand oder Verwandtschaft noch eine Tafel Schmausender eingerichtet. Außerdem waren alle Räume des Rathauses von „Kleingeladnen“ gefüllt.
Des Vorrates Nachhaltigkeit ist ja unbezweifelbar; aber ein dreitägiges Schmausen ist doch auch keine Kleinigkeit. Und darunter konnte es bei einer großen Hochzeit, noch dazu Doppelhochzeit, nicht geschehen.
An der Herrentafel hatten sich außer den uns bereits vorgeführten Gästen noch eingefunden der Ratsherr Valentin Hübner von Römhild mit seinem Sohn Michel, der Jugendfreund des Bräutigams Bötzinger, Pfarrer Georg Eisentraut von Walbur, der Herr Amtsschösser Andreas Götz, der Herr Organist Nikolaus Fleischmann, Bürgermeister Tobias Wehner, Bürgermeister Johann Friedrich Schwalb, der Goldschmied Wolfgang Wustmann, Petrus Wehner, der Herr Apotheker Hofmann von Koburg und noch etliche.
Am untern Ende der „Herrentafel" – dem Brautpaar gegenüber – saß die lahme Magd von Gompertshausen. Sie hatte sich lange gesträubt, diesen Platz einzunehmen – lieber hätte sie sich an die Zachertafel gemacht –, aber das geistliche Brautpaar bestand darauf, die Elsa Geßnerin auf seiner Hochzeit vor Augen zu haben: das sollte auch für die Gompertshäuser Großmacht der Ehrentag sein.
Die Hochzeitsmütter hatten „ihr Wesen“ in der Küche.
Es waren eben „Kalbfleischvögel“ aufgetragen worden, und der Herr Apotheker Hofmann von Koburg war mit seinen beiden „Vögeln“ gar bald „überort" und erkundigte sich beim Amtsschösser, der zu seiner Linken saß, nach der „Weibsperson“ am untern Ende der Tafel. Als er Aufschluß erhalten und gehört hatte, daß sie schon so lange Jahre an der Gicht leide und deshalb auf einem Karren durchs Land fahre, sagte er: „Ei, dagegen weiß ich der kräftigsten Mittel manche; muß dem armen Weibsbild einmal sagen, was sie tun soll.“
Und er erhob sich und begab sich zu der lahmen Magd, neigte sich zu ihr und redete sie als Gelehrter also an: „Ihr leidet an der Gicht, arme Frau, wie mir mein Tischnachbar jetzo erzählt. Horcht auf, was ich Euch sage! Holderblätter in Geißenunschlitt geröstet und übergelegt stillt das Reißen. Ferner Loberellen oder Judenkirschen abends, so man schlafen will, drei oder vier ungefähr genossen, sind sehr gut dem fahrenden Ding und ziehen viele böse Feuchtigkeit aus dem Menschen. Ingleichen sänftiget die Gicht Osterluzei mit Ibischwurz, Wegbreit und Honig vermischt aufgelegt.“
„Herr Apotheker!“, erwiderte die lahme Magd, „Er mag ein fein Gstudierter sein; aber von meinem fahrenden Ding versteht er nix! Das ist zäh wie Hirschflechsen und geschwind wie der Blitz und so heimlich wie der Katzentritt. Und es ist so tapfer, daß es sich aus der Weisheit der Gelehrten nix macht, net einmal vor lateinischem Segen Respekt hat. Hihihi!“
„Ihr scheint Euch mit Euerm Leiden nicht übel zu vertragen. Das mag noch das Beste sein.“
„Meinen Gaul, meinen Karren, mein fahrend Ding und mich wird wohl kein Kräutlein, noch Geißenunschlitt, noch Apothekerlein auseinander bringen. Hihihi!“
Der Gelehrte aus der Residenz zog ab und griff nach Messer und Gabel, um an „marginierten Lammsripplein“ auszulassen, was ihm die lahme Magd „eingetränkt“ hatte.
Sein Gegenüber, der Herr Pfarrer Böhm mußte gemerkt haben, daß der Apotheker nicht zum besten bei der lahmen Magd angekommen war, und fragte: „Herr Hofmann, Eure Kunst hat sich wohl nicht der verdienten Ästimation zu erfreuen bei der Elsa Geßnerin?“
„Ist ein kurioses Weibsbild! Aber Adamus Lonicerus schreibt: die Fabeln der Poeten von der Circe, welche die Leute durch ihre Tränke in vielfältige Gestalt verwandelt, desgleichen von der Medea, so den Leuten Tränke eingegeben, daß sie stets sind jung geblieben, sind keiner andern Ursache wegen gedichtet worden, als daß sie hierdurch haben deuten wollen, daß solche eine fürtreffliche Erkenntnis der Kräuter vor andern Menschen gehabt, und daß sie vielen Menschen mit Kräutern geholfen.“
Der Herr Amtsschösser bemerkte dazu: „Es ist eine so schwere als alte Kunst, der Menschen Leiden und Gebresten beizukommen, sowohl der Heilung als der Ursachen nach.“
„Wohlgesprochen, Herr Amtsschösser! Und wenn die wohlachtbaren Herren mir ein wenig Gehör schenken wollen, kann ich dero Wißbegierde auch nach der Ursachen aller Krankheiten einige Beschwichtigung gewähren. Die drei Anfänge aller Dinge sind Salz, Schwefel und Quecksilber. Und so von diesen drei Prinzipiis einem Körper eines mangeln sollte, wird Korruption, Krankheit oder Tod verursacht. Was den Merkurium oder das Quecksilber anbelanget, so träget es sich oft zu, daß er sich an dem Menschen destillieret und dahero den Schlag oder Tropf, ja auch wohl den Tod verursachen kann. Da er sich aber sublimieret, verursachet er die hinfallende Sucht, Wahnwitz und dergleichen, oder da er sich präzipitieret, erwecket er das Podagra, Aussatz und so hierin begriffen werden. So er sich aber gleichsam vermehret und den Sulphur zu überschwemmen und ertränken begehret, verursachet er Schwindsucht und Wassersucht. Bei einer Korruption des Salzes entstehet Jucken der Haut, Krätze, Fisteln, Krebs, Aussatz und dergleichen Wundschäden. So aber der Schwefel korrumpiert wird, verursacht er hitzige Fieber, Karfunkel, kalten Brand, wild Feuer und andre dergleichen Schäden.“
Der Herr Pfarrer Georg Eisentraut, zur Linken des Pfarrers Böhm, ergriff seinen Kelch und das Wort: „Trinken wir also auf eine wohlgefällige Harmonie zwischen Salz, Schwefel und Quecksilber, das ist: auf des Leibes Gesundheit!“
Da stieß die also belehrte Tafelgruppe vergnügt an, und der Apotheker rief begeistert: „Vivat!“ Und machte die Nagelprobe.
Der Herr Bräutigam Bötzinger hatte auch dem Vortrag des Apothekers gelauscht und erhob sich: „So sich unsre Gesundheit auf eine Prinzipientrias gründet“, sagte er, „so gründet sich die Theologie meines Amtsbruders Eisentraut und die meinige auf die Johanneische Trias; und daß aus selbiger eine rechte Johannestheologie, das ist der Geist der Wahrheit, aufsteigen möge, darauf lasset uns anstoßen und herzhaftiglich trinken!“
„Vivat!“, rief der Herr Pfarrer Georg Eisentraut und machte ebenfalls die Nagelprobe.
Der Herr Apotheker bat um Aufschluß bezüglich der Johanneischen Trias, und der Herr Pfarrer Eisentraut erklärte: „Die Johanneische Trias existieret heute noch in Jena und bestehet aus drei Dozenten der Theologie, und solche sind: Johann Major, Johann Gerhard und Johann Himmel.“
Dem Herrn Amtsschösser imponierte der Trinkspruch seines ehemaligen Informators, und er sagte: „Das ist der Geist, den der Bischof Echter dämpfen wollte, und den man mit Feuer und Schwert zu tilgen suchet.“
Kaum war der Name Echter gefallen, als die Emigrantengruppe (Organist Nikolaus Fleischmann, Bürgermeister Tobias Wehner, der Goldschmied Wolfgang Wustmann und Petrus Wehner) das „Bischofslied“ – eine Parodie – anstimmte, in das bald alle einfielen.
Gelobet seist du, Jesus Christ,
Daß Bischof Julius gestorben ist
An einer Pfeben, das ist wahr,
Des freuet sich des Adels Schar.
Des ewgen Geizes einig Kind
Jetzt man in der Gruben findt;
In unser armes Hab und Gut
Verkleidet sich das Ehtrisch Blut.
Den der fränkisch Kreis nie beschloß,
Der liegt jetzt in der Höllen Schoß,
Er ist ein Würmlein worden klein,
Der alle Ding begehrt allein.
Das ewig Licht geht da herein,
Giebt der Seel eine neue Pein;
Es quält ihn stetig Tag und Nacht
Und ihn zum Kind des Teufels macht.
Der Sohn des Vaters, Gott von Art,
Unsers Jammers innen ward
Und führt uns aus dem Jammerthal;
Er stieß den Echter aus dem Saal.
Er ist ins B. .. . tum kommen arm,
Darin ist er worden warm;
Er hat sein Freund gemachet reich,
Daß sie sind worden Grafen gleich.
Dies alles hat er uns gethan;
Jetzt aber freut sich jedermann
Im Frankenlande weit und breit,
Daß Bischof Julius begraben leit.
Als der „verkehrte Gesang“ zu Ende war, wurde „Schweinefleisch mit Wacholderbrüh auf Wildbretart zugericht“ aufgetragen.
Der Bräutigam Bötzinger hatte das „Echterlied“ nicht mit gesungen. Er hätte gern das Spottlied unterdrückt, wenn er nicht befürchtet hätte, dadurch die Festlaune zu beeinträchtigen. Wie schwer Franken unter der eisernen Hand des aus dem Bauernstand stammenden „Rückreformators“ zu leiden gehabt hatte, wird meinem Leser aus dem vierten Kapitel erinnerlich sein.
Es wurde „Hecht in weißer Sardellenbrüh“ aufgetragen, und der Herr Adjunktus Kilian griff nach der Citrone, um ihren Saft über den Fisch auszudrücken. Dabei rief er aus: „So oft mir diese Frucht vor Augen kommt, wünsche ich mir, noch einmal das Land zu sehen, wo sie wächst.“
Da fragte verwundert Meister Örtlein, ob denn der Herr Adjunktus schon einmal in Welschland gewesen sei, worauf der geistliche Herr erwiderte: „Kann sein, Meister Örtlein! War als Löwensteinischer Feldprediger zu Venedig, Vicenza, Treviso Palmanova x. und habe viel Schönes und Merkwürdiges gesehen.“
Durch die italienischen Namen ward der Vater des geistlichen Bräutigams, der sich bisher in stiller, beschaulicher Ausführlichkeit den Aufgaben, die ihm die Tafel stellte, unterzogen hatte, aufgerüttelt wie aus einem Traum, und erregt rief er seinem Sohne zu: „Herrgott in deinem Reich! Martin, hast du denn deines Großvaters historisches Vermächtnis ausfindig gemacht? Durch das Wellschland werd ich darauf gebracht.“
Der „treffliche Historikus“ Johann Kilian horchte auf, als der Herr Pfarrer von Poppenhausen sich vor die Stirn schlug und vor sich hin redete: „Des Aeneae Sylvii Papae historisch Werk in alter Münchsschrift gedruckt auf groß Regalpapier!“
„Freilich, freilich! Und wie stehts damit?“, rief der Vater.
„Ich bin ihm auf der Spur. Vor zwei Jahren war ich mit dem Herrn Amtsschösser nach Königsberg gefahren, um dies köstliche großväterliche Erbstücklein beim Herrn Diakonus Göring, der es vom Pfarrer Wolf, vormaligem Superintendenten, geliehen hat, abzuholen; aber des Herzogs Wilhelmen Ankunft aus der Gefangenschaft hat alle andern Interessen absorbieret, also, daß ich erst daheim meines Vergessens inne ward.“
„Und dieses Werk sucht Er schon wie lange?“, fragte der Herr Adjunktus.
„Als Schüler reiste ich nach Würzburg, um es dem Pater Willius, der es von meinem Großvater geliehen hatte, abzufordern. Der hatte es aber bei dem Herrn Pfarrer Magister Sebastian Lütz in Ebersdorf gegen eine Geldschuld versetzt. Auf meiner Rückreise suchte ich den Herrn Magister in Ebersdorf auf und erfuhr von ihm, daß den Äneas Sylvius der Pfarrer in Bischleben habe. Als Student reiste ich von Jena aus mit meinem Freund Eisentraut gen Bischleben und erfuhr da vom Pfarrer Wolf, der uns sehr gut aufnahm, daß er das Buch an den Diakonus Matthäus Göring in Königsberg verborgt habe. Und in dessen Händen mag es wohl sein, wenn er es nicht abermals verliehen hat. In diesem Sommer gedenke ich diese zehnjährige Irrfahrt zu beendigen und auf Ithaka zu landen.“
„Die Irrfahrt ist zu Ende!“, rief der Herr Adjunktus Johannes Kilian. „Aber Penelope ist dem Odysseus auf das Schiff entgegengeeilt und landet nun an seiner Seite auf Ithaka. Ich habe des Aeneae Sylvii Papae historisch Werk, in alter Münchsschrift gedruckt auf groß Regalpapier – habe es vom Diakonus Matthäus Göring und werde es morgen dem vielgeprüften Erben einhändigen.“
Die Herren Bötzinger, Vater und Sohn, fuhren freudig erregt empor, und der Herr Schulmeister sagte: „Es ist ein sonderlich Zeichen des himmlischen Wohlgefallens an dieser Hochzeit, daß es sich also gefüget mit des Äneä historischem Werk.“ Und der Pfarrer Bötzinger fügte hinzu: „Wollte Gott, daß es mit allen Irrtumben so auslaufe, wie es mit dieser meiner odysseischen Fahrt zu gutem vergnügten Ende geraten ist!“
„Auf dieser Irrfahrt war ich zeitweilig – wie schon angemerket – ein Genosse“, nahm der Pfarrer Georg Eisentraut das Wort, „zum erstenmal zwischen Schweinfurt und Heldburg. Und als wir am Wernerstor den eingehauenen Biber betrachteten, stand die Penelope als flachshaariges Mägdlein in selbigem Thor und schaute nach dem Odysseus. Sie wurde damals für uns in der Metropolis Heldburg zum Kompaß und zeigte uns die Wohnung meines Herrn Vetters Tobias Wehner.“
„Ihr waret damals ein Paar gravitätische Schüler. Und der Herr Odysseus, den mein Herr Vetter den „Ohnigsaus“ nannte, hat selbigmal abends im Fürstlichen Haus eine Lobrede auf den Bischof Julius Echter gehalten.“
Nach diesen Worten des Bürgermeisters Tobias Wehner riefen die Emigranten an der Herrentafel durcheinander, daß sie sich jenes Vorkommnisses im Fürstlichen Haus und der Tapferkeit des fahrenden Schülers noch recht gut erinnern könnten. Auch der Herr Superintendent äußerte sich vergnügt in diesem Sinne.
Des Herrn Tobias Wehners Faust aber drückte mit der Wucht eines halben Zentners auf den Tisch und bog sich bei jedem Wort um, als hätte sie eine alte Nuß zu zerdrücken, als Pfarrer Eisentraut sich erhob, den Becher ergriff und sagte: „Viel des Leides und der Trübsal hat der Bischof Julius über viele Familien seines Stiftes verhängt. Und es wird noch viel Not und Elend über uns kommen. Aber wie der Odysseus auf dem stürmenden Meere die Hoffnung nicht aufgab und mutig stritt, und seine Penelope in Treue seiner harrte: so wollen wir auf unserm Schiff des Glaubens mutig weiter steuern, sintemal unser Christ zur Rechten des Allerhöchsten auch in Treue unsrer harret. Beinahe hundert Jahre vor unserm Lutherus hat Sebastian Brant schon also geschrieben:
Das ist der falschen Propheten Lehr,
Vor denen sich hüten heißt der Herr,
Welche anders die Schrift umkehren,
Als sie der heilige Geist thut lehren;
Deren Hände führen falsche Wagen.
Drauf legen sie nach ihrem Behagen,
Machen eines leicht und andres schwer,
Darunter der Glaube leidet sehr.
Aber unser Doktor Martinus Lutherus hat der falschen Propheten Ränke aufgedecket und die Wage und das Gewicht richtig gestellet und uns auf ein neues, gutes Schiff des Glaubens gesetzet, darauf wir tapfer weiter steuern wollen zur Ehre Gottes und unsers Heilandes. Zur Erfrischung unsers Mutes lasset uns auf sichere Landung fröhlich anstoßen!“
Alle erhoben sich und stießen begeistert mit einander an. Und nach einem tapfern Trunk stimmte der Herr Organist Nikolaus Fleischmann, dem bald alle im Saale kräftig beistimmten, das Lied von Justus Jonas an:
Wo Gott der Herr nicht bei uns hält,
Wenn unsre Feinde toben,
Und er unsrer Sach nicht zufällt
Im Himmel hoch dort oben;
Wo er Israels Schutz nicht ist
Und selber bricht der Feinde List:
So ists mit uns verloren.
Was Menschenkraft und Witz anfäht,
Soll uns billig nicht schrecken;
Er sitzet an der höchsten Stätt,
Der wird ihrn Rat aufdecken:
Wenn sie aufs klügate greifen an,
So geht doch Gott ein ander Bahn:
Es steht in seinen Händen.
Sie wüten fast und fahren her,
Als wollten sie uns fressen,
Zu würgen steht all ihr Begehr,
Gotts ist bei ihn'n vergessen:
Wie Meereswellen einherschlan,
Nach Leib und Leben sie uns stahn:
Des wird sich Gott erbarmen.
Sie stellen uns wie Ketzern nach,
Nach unserm Blut sie trachten,
Noch rühmen sie sich Chriſten ach,
Die Gott allein groß achten;
Ach Gott! der teure Name dein
Muß ihrer Schalkheit Deckel sein:
Du wirst einmal aufwachen.
Aufsperren sie den Rachen weit
Und wollen uns verschlingen;
Lob und Dank sei Gott alle Zeit!
Es wird ihn'n nicht gelingen:
Er wird ihrn Strick zerreißen gar
Und stürzen ihre falsche Lahr;
Sie werdens Gott nicht wehren.
Tiefes Schweigen herrschte im Saale.
Da drang von draußen her eine grelle Musik mit Paukenschlag, und durch den Saal ging eine Bewegung der Überraschung. Aber Meister Örtlein erhob sich und rief: „Die Hochzeitsmusik, zu der ich von Koburg etliche Trompeter und eine Kesselpauken gestellt habe!“
Die Tür that sich auf, und ein erschrecklicher Tonschwall, impulsiert von den donnernden Schlägen einer großen Pauke, brach herein. Alles wandte sich nach der Tür, durch die die Schalmeienbläser Martin Henneberger von Westenfeld, Heinrich Erhart von Eishausen und Hans Siebenlist von Heßberg, vereinigt mit zwei Koburger Trompetern und einem Pauker – mit blauroten Gesichtern von ehrlicher Anstrengung – einzogen, ihnen vorauf der Pater Willius in zerfetzter Kutte, einen großen Humpen vorhaltend. Auf dem Kopfe trug der lustige Pater eine ungeheure Papiermütze, auf die mit Kohle Drachen und Narren gezeichnet waren. Diesen würdigen Zierat hatte der Schalmeienbläser Hans Siebenlist besorgt, als der Pater im Hof, an einem Faß lehnend, geschlafen hatte.
Juchzend tanzte der leuchtende Irrwisch auf Zachers Braut zu, stellte seinen Humpen auf die Tafel und schmunzelte, die Arme ausstreckend: „Ah, schöns Jüngferle!“
Da sprang die Liedermagd von der Festung mit einer Freundin auf, und noch etliche Bursche gesellten sich zu ihnen. Die brachten den Pater stracks in die Richtung eines Rückzugs und hantierten ihn hinaus so, daß es dabei klatschte.
Aber der Pater rief: „Kinder Sodoms! Kinder Sodoms!“
Gelächter und Rufe ausgelassenster Heiterkeit mischten sich mit den Leistungen der kannibalischen Musikanten zu einem großen Spektakel.
Der Herr Amtsschösser aber sagte zu seinem Tischnachbar: „Der ewige omnium unflatissimorum unflatissgimus!“