Siebenundzwanzigstes Kapitel
Kameradschaft
(1626)
Der Verwirrung und dem Herzeleid des Martin Bötzingers und der Jungfer Ursel hatte der Koburger Herrscheklas mit tapferm Mute ein Ende gemacht. An der Kreck zeitigte nun der Friede Glück und fröhliche Hoffnung auf einen soliden Ehestand.
Aber draußen auf dem Völkerplan zog an dem schwankenden Karren der Unterhandlung ein widerbürstiger Gaul, die intrigante Diplomatie, ohne zum Ziele zu gelangen: das Gefährt der Gompertshäuser Großmacht in den Tagen der Verwirrung und des Herzeleides.
Es war eine Schreckenszeit.
Während des dreißigjährigen Krieges noch Krieg des Kaisers mit den Türken, Krieg des Schwedenkönigs mit Polen, Krieg Spaniens mit den rebellischen Niederlanden.
Zwischen Dänemark, das auch den niedersächsischen Kreis vertrat, England und Holland war endlich am 19. Dezember 1625 im Haag ein Bündnis zum Abschluß gekommen; und im Mai desselben Jahres war Albrecht von Waldstein mit der Anwerbung von fünfzehntausend Mann zu Fuß und sechstausend Reitern betraut und im Juni zum General über die gesamte kaiserliche Armee ernannt und zum Herzog von Friedland erhoben worden.
Wie Waldstein es verschmähte, vereint mit Tilly den Feldzug zu unternehmen, so zog es Mansfeld vor, ohne Christian IV., auf eigne Faust vorzugehen, setzte mit seinen Truppen schon im Dezember 1625 bei Artlenburg über die Elbe und rückte nach Lauenburg.
An einem freundlichen Januarnachmittag hielten vor dem Schloß zu Lauenburg zwei Ritter und begehrten vor den Grafen Ernst von Mansfeld geführt zu werden. Ihre gutgenährten Pferde, ein Goldfuchs und ein Rappe, und ihre reputierliche Montierung flößten den Wachthabenden Respekt ein; und als der auf dem Goldfuchs sich als Marschall Schweigmund von Unfind anmelden ließ, erfolgte die übliche Ehrenbezeugung, sodaß es dem auf dem Rappen warm durch die Glieder lief, als hätte er, wie einst auf dem Straufhain, einem ordentlichen Zug Leistner Raum vergönnt, und in seinem viereckig bebarteten Gesicht kam mindestens die Wichtigkeit eines Rittmeisters zum Ausdruck.
Marschall Schweigmund von Unfind wurde von einer Ordonnanz in ein geräumiges Zimmer geführt. An einem zierlichen Tisch, worauf etliche Schriftstücke, eine Pergamentrolle und ein Perspektiv lagen, saß ein kleiner, verwachsener, in den Vierzigern stehender Mann, dessen blonder Bart nicht ganz eine Hasenscharte zu verheimlichen vermochte. Das war Graf Ernst von Mansfeld. Er erhob sich und fragte den Eingetretenen: „Was ist Sein Begehr?“
„Euer gräflichen Gnaden feldherrlicher Kriegsruhm hat mich jahrelang mit der Sehnsucht erfüllt, in Eure Dienste zu kommen. Erst jetzt ist es mir möglich geworden, zu Euch zu gelangen, um Euch meine Dienste anzubieten.“
„Wie nennt Er sich?“
„Marschall Schweigmund von Unfind.“
„Es macht mich stolz, daß mir Marschälle ihre Dienste anbieten.“ Der Graf lächelte spöttisch bei diesen Worten und fragte: „Womit kann Er seine strategische Ästimation erweisen?“
Der Marschall wurde ein wenig verlegen und erklärte: „Obgleich ich in der Kriegskunst nicht erfahren bin, habe ich doch einen Sturm auf Unterschwappach zurückgeschlagen, und ist selbiges Schloß durch meine Anordnung und Befehle und nach meinem Kommando gerettet und unversehrt erhalten blieben.“
„Wie mag Er sich denn Marschall nennen?“
„Euer gräfliche Gnaden wollen diesen Titul nicht ansehen als eine Amtsnennung, sintemal ich nur Postreuter des Herzogen Johann Ernsten von Eisenach war; aber ich habe von selbigem Fürsten und Herrn die Gunst erfahren, solchen Titul, den mir das Volk aufgegeben hat, fortführen zu dürfen. Und wollte ich Euer gräfliche Gnaden in aller Untertänigkeit bitten, auch in Euern Diensten also genannt zu werden.“
„Er ist eine absonderliche Acquisition. Ich will Ihm seine Marschallskappe nicht herunterreißen. Er gefällt mir, und ich will Ihn mir zum Offizier ausbilden. Er muß tüchtig lernen und sich üben; jetzund gibt es Zeit dazu. Und wenn Er einschlägt, soll es bald mit Ihm vorwärts gehen; denn gute Führer und gescheite Köpfe sind rar. – Er kommt beritten und hat auch einen berittenen Bedienten bei sich. A la bonne heure! – Such Er sich für heut Quartier im Städtlein; morgen früh um neun Uhr hat Er sich hier zur Stelle zu melden mit Roß und Mann. Dann soll Er mit seinem Bedienten eingereiht werden. Wenn Er sich kapabel erweiset, soll er mir in den Winterabenden manchmal Gesellschaft leisten, und dann soll Er mir von Eisenach und von der Schloßstürmung erzählen.“
Marschall Schweigmund von Unfind entfernte sich, und der Graf wandte sich den aufgeschlagnen Papieren zu und blieb wie sinnend vor ihnen stehen. „Ein schöner Kerl, dieser Marschall Schweigmund von Unfind! Ha! – Die Mütter prägen falsche Münzen! Vielleicht die Frucht einer kröpfigen Gänsehirtin mit breitem Maul und langen Ohren! – Aber das Volk nennt ihn Marschall, und Fürsten lassens gelten. – Und ich? – Höllenspuk! – Meine schöne Mutter hat eine Lüge geboren. Wie ein verspäteter Hunnenhäuptling durchzieh ich Europa, und das Volk höhnt und beschimpft mich, und die Fürsten werden zu Buben an mir! – Aber wir wollen den Spießbrüdern die Kronen noch nachzählen, und den Pfaffen wollen wir die Kerzen wiegen und den Bauern die Schweine und Ochsen – und von dem saubern Kaiser, der einst hunderttausend Gulden auf meinen Kopf gesetzt hat, wollen wir unsern Sold noch holen. – Wie Friedrich von Roggendorf von diesem Ferdinand gesagt hat, will ichs halten; meine Gnade sei eine böhmische: „Kopf ab!“ oder mährische: „Kerker!“ oder österreichische: „Raub!“ – Erst aber wollen wir des achselträgerischen Brandenburgers Spind leeren. – Dieses Winterlager macht mich ungeduldig. – Wenn mir der Siebenbürger nur nicht versagt: wir wollen den Ligisten ein wenig warm machen!“
Plötzlich setzte sich der Graf an seinen Tisch und entrollte das Pergament. Lange ruhte sein scharfes Auge darauf; dann ließ er es auf den Tisch sinken, und während er die Augen schloß, rang es sich von seinen Lippen wie ein Klageruf: „Wieder der Schatten!!“ –
Am folgenden Vormittag ward Marschall Schweigmund von Unfind der Reiterei eingereiht. Hinz kam auf seinen besondern Wunsch zu den Konstablern.
Nachdem beide auf die Artikelbriefe vereidet worden waren, wurde die Kompagnie, der Schweigmund von Unfind nun zugehörte, zum Fouragieren ins Holsteinische kommandiert. Das war sein erster Soldatendienst.
Das Winterlagerleben mit seinem Treiben zwischen Hunger und Völlerei, Krankheit und viehischer Ausgelassenheit erfüllte den ehemaligen Spitzbubenmarschall bald mit Ekel. Der Ehrgeiz, so viel Nahrung ihm auch der Gedanke an Susanna zuführte, begann schon in Augenblicken der Reue über den getanen Schritt zu weichen.
An einem kalten Februarmorgen, auf einem Rekognoszierungsritt, erblickte Marschall Schweigmund von Unfind nicht weit von den rauchenden Trümmern eines Hofes im Gebüsch eine sterbende Mutter mit drei Kinderleichen. Da rief er erschüttert aus: „Oh, wär ich doch in Eisenach geblieben!“
Er wurde von Tag zu Tag finstrer. Der melancholische Ausdruck, wie wir ihn vor dem Sturm auf Unterschwappach in dem Gesicht des Reiters am Zabelstein beobachteten, zeichnete nun wieder den Reiter auf dem Löwengold, aber um einen Schatten düsterer.
Der Generalwachtmeister hatte eines Tages auf die Frage des Grafen nach dem Marschall Schweigmund von Unfind erklärt, daß dieser Mann sich adrett und sehr gewissenhaft im Dienst erweise, sich sogar durch eine Art Noblesse auszeichne, daß ihm aber nicht zu trauen sei, weil ihm das Lagerleben nicht zu gefallen scheine und er itzund aussehe, als denke er mehr ans Desertieren als ans Avancieren.
„Ich möcht den Mann nicht missen“, sagte der Graf, „fertige Er ihm das Wachtmeisterpatent aus, und berichte Er mir in vierzehn Tagen wieder über seine Führung. – Heut abend um acht Uhr soll sich der neue Wachtmeister bei mir melden!“
Bald ging es durch die Reihen: „Der Schweigmund von Unfind ist zum Wachtmeister avanciert und auf den Abend zur Audienz befohlen.“ Und daran knüpften sich Ausbrüche des Neides und Spottes. –
In der Audienz mußte der Wachtmeister auf allerlei Erkundigungen des Grafen Rede stehen, von Eisenach erzählen und von Unterschwappach; und sein oberster Kriegsherr schien mehr und mehr Gefallen an ihm zu finden. Der Wein mochte dabei seine gute Wirkung getan haben; denn der Wachtmeister erzählte zuletzt mit Witz, und der Mansfelder geruhte zuweilen herzlich zu lachen. Und das hatte dem Grafen sehr wohlgetan. – Dem Wachtmeister Schweigmund von Unfind wich der Schatten, der den Grafen verfolgte, aus; und der Schatten, den die Misere des Kriegs dem Pseudomarschall ins Gesicht warf, verging vor dem Grafen von Mansfeld. –
An der Elbe hinauf zog es von Ort zu Ort mit zermalmendem Tritt, weit geöffnetem Rachen und glühendem Atem, das vielbeinige stahlzähnige Ungeheuer, und vor und hinter ihm ward die Luft erfüllt von dem Qualm der Feuersbrünste und von den Weherufen des Elends.
Aber in der Elbe zogen die Fische aufwärts, munter und friedlich nebeneinander, zum Laichen, und aus dem Süden durch die Gebirge hindurch und an der Elbe abwärts kamen befiederte Reisende scherzend in Liebe, und über dem sprossenden Grün schwangen sich schon trillernde Lerchen empor zum Himmel: der Lenz ist ein treuer Freund, der die Hoffnung nicht zu schanden werden läßt, und ein tapfrer Freund, der sich nicht fürchtet, weder vor dem Waldstein, noch vor dem Mansfeld.
Der Waldstein hatte bei der nach Dessau führenden Brücke eine Schanze errichten lassen und zu deren Verteidigung den Oberst Altringer mit einer Heeresabteilung abgeordnet.
Mansfeld hatte Verstärkung durch niedersächsische Kreistruppen erhalten, gedachte den Oberst Altringer zu werfen und den Krieg auf das linke Elbufer zu spielen. Zweimal suchte er vergeblich den Brückenkopf zu nehmen. Nach dem ersten mißlungnen Angriff, am 9. April, ernannte er den „Marschall Schweigmund von Unfind“ zum Fähnrich. Beim zweiten Sturm, am 11. April, hatte der neue Fähnrich bemerkt, daß an einem wichtigen Punkte der Schanze ein Rittmeister hart bedrängt wurde, und war ihm mit einem kleinen Häuflein tollkühn an die Seite geeilt, sodaß an diesem Punkt der Kampf für die Mansfeldischen eine günstige Wendung genommen hatte. Das hatte der Graf beobachtet. Nach dem Rückzug ward dem Schweigmund von Unfind das Lieutenantspatent überreicht.
Zehn Tage darauf hielt Mansfeld Revue. Nach Beendigung derselben sagte er zu seinen um ihn versammelten Offizieren: „Bin ich nicht mehr der Mansfeld von ehedem? Den Altringer müssen wir einschließen, sonst geht unsre Ehre zum Teufel! Rüttelt eure Leute zusammen, daß sie nüchtern sind, wenn ich noch einmal zum Tanz blasen lasse!“
Am 25. April führte er seine Truppen noch einmal gegen die feindlichen Schanzen, ohne zu wissen, daß Waldstein mit seinem ganzen Heere im Anzug war. Er kam aber bald zu der Überzeugung, daß er es nicht mehr mit den „Altringerschen“ allein zu tun habe, und daß durch die Ankunft Waldsteins der Feind für ihn unüberwindlich geworden sei, ordnete einen schnellen Rückzug an, wurde aber von Waldstein verfolgt und erlitt eine schwere Niederlage, in der er viertausend Mann einbüßte.
Nun warf sich das Mansfeldsche Heer in die Mark, um auf Kosten der Bürger und Bauern zu prassen.
Schweigmund von Unfind hatte sich auch beim dritten Angriff auf das Brückenschanzwerk ausgezeichnet, sodaß ihm der Graf in einer Audienz zurief: „Hätt ich lauter solche Kerle gehabt wie Er, wär ich nicht ins Malheur gekommen! Ich ernenne Ihn hiemit zum Rittmeister.“
Der Graf von Mansfeld hatte sein Quartier auf einem märkischen Edelhof genommen, und der Rittmeister Schweigmund von Unfind war auch dahin beordert worden.
Die Dame des Hauses, deren Gemahl in der Residenz unentbehrlich geworden war, hielt dem Mansfelder und seinem Stab eine reiche Tafel offen und hatte sich bald der höchsten Gunst des Grafen zu erfreuen. Das tat ihr ja wohl; aber es wäre ihr doch viel wohler gewesen, wenn ihre Gunst, die sie auf den Rittmeister Schweigmund von Unfind geworfen hatte, Erwiderung gefunden hätte. Der benahm sich jedoch wie der gehörnte Siegfried. Darüber ärgerte sie sich sehr, sodaß sie nachts fast kein Auge zutun konnte.
„Er fürchtet sich vor dem Mansfelder!“, rief sie aus; „dem Mansfelder muß der Aufenthalt hier verleidet werden.“
Am folgenden Abend ließ sie dem Grafen den schwarzen Schloßkater ins Schlafzimmer praktizieren. Als nun der Mansfelder einen süßen Traum hatte, worin ihm die Dame ein Glas Burgunder kredenzte, gingen die Schloßkatzen fleißig auf dem Korridor spazieren und sangen ihre lieblichen Weisen; denn es war Frühling. Das drang dem gefangnen Kater ins Herz, und er begann mit viel Ausdauer und auf das lauteste seinen Empfindungen Ausdruck zu geben.
Da ließ die freundliche Dame im Traum des Kriegsmannes den gefüllten Becher fallen und floh, und der Burgunder lief dem Träumer ins Ohr, daß er aufsprang und sich schüttelte. Aber die Katzen flohen nicht, und der Kater sang unter dem großen Bett mit den Sängerinnen auf dem Korridor und mit dem „Weltschmerz“ um die Wette. Es blieb dem tapfern Grafen nichts übrig, als aufzustehen und seinem Gast die Tür zu weisen. Aber schlafen konnte er nicht wieder, denn vor der Tür erhob sich nun ein ganz energisches Katzenensemble.
Am folgenden Tage beklagte sich der Graf bitter bei der Dame des Hauses. Und diese versprach, daß sie hinfüro jeden Abend alle Katzen ins Freie treiben lassen werde. Aber an demselben Tag ließ sie ein Dutzend Mäuse lebendig fangen. Die wurden abends auf ihr Geheiß in des Mansfelders Schlafgemach gelassen und ein Schock Nüsse unter das Bett gelegt. Wie nun der berauschte hohe Herr zu schnarchen anfing, und sonst alles still geworden war, fingen die Mäuse an, sich die Zeit mit den Nüssen zu vertreiben. Und von dem Gerassel wurde der Graf munter und konnte in selbiger Nacht abermals nicht ordentlich schlafen.
In der folgenden Nacht flog eine Eule in dem Schlafgemach des Mansfelders umher, und wenn sie an ein Fenster schoß, krachte es, als hätte sich eine Kartaune entladen. So konnte der Ärmste wieder nicht schlafen. Nachmitternachts stand er auf, kleidete sich notdürftig an und suchte das Schlafzimmer der gnädigen Frau auf, um sich zu beschweren. Merkwürdigerweise war die Tür nicht verschlossen, sondern nur angelehnt. Der geplagte Mann trat leise ein und schlich sich an das Himmelbett der gnädigen Frau. Aber siehe da! es war leer. Da ging er an das Bett der Zofe und fand das auch leer. Das war sonderbar. Der Mond schien so schön in das Zimmer, daß der Graf deutlich sehen konnte, wie plötzlich neben dem Kamin eine weiße Gestalt aus dem Boden stieg. Da ergriff der tapfere Feldherr die Flucht. Aber auf dem Korridor stieß er wieder auf eine weiße Gestalt. Und er drückte sich eiligst an der Wand hin, schlüpfte in sein Schlafzimmer, verschloß es hinter sich und kroch unter seine Bettdecke. Er mochte sichs überlegen, wie er wollte: er kam nicht über den Spuk hinaus.
Das war überhaupt eine spukhafte Nacht. Denn in des Rittmeisters Schlafzimmer, dessen Tür verriegelt war, schwebte um Mitternacht eine weiße Frauengestalt an das Himmelbett, machte den Vorhang auseinander und strich mit zarter Hand dem
Schlafenden über die Stirn, just als läg er in Unterschwappach im Wundfieber. Darüber war Schweigmund von Unfind munter geworden. Und als die Gestalt davonschwebte und er sich aufrichtete und ihr nachsah, bemerkte er, daß sie in den Boden sank und also verschwand vor seinen Augen.
Noch nicht genug. Des Mansfelders Adjutant hatte in selbiger Nacht auch eine Erscheinung. Dieser hatte sich aber überzeugen können, daß es kein Geist war.
Am Tag untersuchte der Rittmeister die Stelle, wo die Gestalt in den Fußboden gesunken war, und fand da eine Falltür zu einer Treppe. Er stieg mit einem Licht nur wenige Stufen hinab, kam in einen Gang und dann durch eine Treppe empor und durch eine Falltür in das Schlafgemach der gnädigen Frau, die mit ihrer Zofe eben im Garten Veilchen pflückte.
Bei der Tafel aber erzählte Schweigmund von Unfind launig von seiner Erscheinung. Aber der Graf von Mansfeld und die gnädige Frau und die Zofe und der Adjutant erzählten nichts.
Bei dem Grafen von Mansfeld brachte es aber Schweigmund von Unfind dahin, daß der Konstabler Hinz als Bedienter zu ihm „gelegt“ wurde. Und der Rittmeister ließ das Bett für seinen Bedienten Hinz in seinem Schlafzimmer aufschlagen, und zwar so, daß es auf die Falltür zu stehen kann.
In der ersten Nacht, die Hinz bei seinem wiedergewonnenen Herrn zu verschlafen hatte, bat er ihn um die Erlaubnis zur Eröffnung eines Geheimnisses. Hinz verriegelte die Tür und setzte sich zu seinem Herrn an den Tisch.
„Mein ehrwürdiger Herr Marschall!“, sagte er, „ich trage was auf meinem Leibe, das mich drückt. Ich weiß nit, was ich damit anfangen soll; und es wär schad drum, wenns in andre Hände kommen sollt. Ich wollt sehn, daß ich ein Orgelgeschütz dafür bekäm; aber man lacht mich aus. Da ists. Nehmts zu Euch! Da ists besser aufgehobn.“ Dabei zog er einen gefüllten Beutel aus dem Hosenbund und schüttete ihn auf den Tisch aus. Es waren eitel Goldstücke. Nehmt das da zu Euch! Ich taug nit mehr zum Schatzmeister.
Schweigmund von Unfind sah seinen Hinz erstaunt an und rief: „Kerl, wie kommst du dazu? „
„Nur keine Skrupel, Herr Marschall! Ich habs einem toten Offizier abgenommen bei der Dessauer Brücke.“
Schweigmund von Unfind schwieg lange, und Hinz begann unterdessen die Goldstücke vorzuzählen.
Seitdem das Lungerleben in der Mark begonnen hatte, beschäftigte den Rittmeister der Gedanke an eine eheliche Verbindung mit Susanna. Aber immer stellte sich die Frage nach den Reisemitteln in den Weg. Da lägen sie ja nun unverhofft aufgezählt vor ihm.
Schweigmund von Unfind sprang plötzlich auf, schlug den Hinz auf die Schulter und rief: „Alter Schatzmeister! Ich nehme dein Geld an unter der Bedingung, daß wir Urlaub zu einer Reise nach Rudolstadt bekommen!“
Da leuchtete es in dem Gesicht des ehemaligen Schatzmeisters auf, und er schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: „Nach Rudolstadt! Herr, sorgt, daß wir bald abreisen!“
Ganz gegen Wunsch und Plan der gnädigen Frau des Hauses zog bald der Rittmeister ab, und blieb der Graf. Dieser hatte wohl gemerkt, welch ein Berg schöner Hindernisse in seinem Rittmeister sich vor ihm auftürmte, und hatte dessen Urlaubsgesuch in größter Bereitwilligkeit genehmigt, ihm auch etliche Fähnlein Reiter bewilligt und ihm zur Verwendung in geeigneten Fällen eine schriftliche Ermächtigung zur Kontributionserhebung ausgefertigt.
Wie ein Frühlingsbote zog der Rittmeister Schweigmund von Unfind in stattlicher Begleitung dem schönen Thüringen zu, und sein Herzensjubel wetteiferte mit dem Jubel des Lenzes, der in Flur und Wald die Luft erfüllte. Hei, wie ging es munter und lustig bergauf und ab, talein und aus!
Es ist nicht genau festzustellen, ob es etliche Tage vor oder nach dem zwanzigsten Mai war. Der Löwenwirt in Rudolstadt hatte den Tag in seinem Kalender zwar rot angestrichen; weil dieser Kalender aber verloren gegangen ist, so fehlt für die Feststellung des Datums die Haupturkunde.
Der Löwenwirt stand nämlich, weil es die Maisonne für selbigen Tag etwas zu schwül vorhatte, hemdärmlig in seinem Tor und hatte seine Pechkappe in der linken Hand und strich mit der rechten einen gelinden Schweiß von der Stirn. Er hörte seines Nachbarn Finken zu, einem echten „Reitzug.“ Dieses hitzigen Vogels Fanfaren waren für den Löwenwirt ein wahres Gaudium. Plötzlich erscholl die Straße herauf Pferdegetrappel, und ehe sichs der Löwenwirt versah, sprengte eine gerüstete Schwadron vorüber. Der prächtige Goldfuchs, auf dem der Rittmeister saß, wieherte dem Löwenwirt zu, sodaß er dem Tier extra nachsah. „Schockschwerenot nein! Mein Fuchs!“, rief er und sah sich um und war froh, daß es von den Köpfen, die aus allen Fenstern und Winkeln neugierig hervorgekommen waren, keiner gehört hatte. Denn wegen dieses gestohlenen Pferdes und wegen der Brunnröhre war er schon schwer gehänselt worden. Er ging ins Haus und stieß noch manchen kräftigen Fluch aus; aber dieser Tag, wo ihn sein teurer Fuchs angewiehert hatte, war von ihm im Kalender rot angestrichen worden.
Der Rudolstädter Chronist des dreißigjährigen Krieges aber, der gelahrte und ehrenfeste Gräflich Schwarzburgische Landrichter J. M. Heubel, hat in seinen „Erfahrungen und Gefahren“ den Einzug des kriegsmächtigen Marschalls Schweigmund von Unfind nicht erwähnt; er soll in der zweiten Hälfte selbigen Mais in Kranichfeld beschäftigt gewesen sein, welche Herrschaft der Graf Karl Günther im Jahre 1620 für dreiundachtzigtausend Gulden von Sachsen-Weimar erkauft hatte zum Witwensitz seiner Gemahlin.
Genug, es war noch Mai.
Im Pörzthal und am Schloßberg grünte, blühte und duftete, sang und klang es so wonniglich wie noch nie, beinahe, als hätten die Blumen, Bäume und Vögel gewußt, daß der Löwenwirt den Tag im Kalender rot angestrichen hatte. Der Maiwonne geschah auch nicht Abbruch, als der Mansfeldische Rittmeister mit seiner gerüsteten Schwadron mitten hindurch den Schloßberg hinaufzog.
Unfern vom Schlosse, aber noch vom Wald gedeckt, ließ er halten, kommandierte einen Lieutenant und einen Trompeter mit weißem Fähnlein ins Schloß mit der Ordre: „Ein Mansfeldischer Rittmeister bittet Seine Durchlaucht, den Grafen Karl Günther, um Audienz.“
Nach einem Viertelstündchen kam der Lieutenant mit seinem Trompeter wieder zurück und meldete: „Seine Durchlaucht residiert anjetzo in Stadtilm. Der Herr Rittmeister soll nur nach Stadtilm reiten!“
„Wer hat hier einem Mansfeldischen Rittmeister zu befehlen?“, fragte gereizt Marschall Schweigmund von Unfind.
Ein bärbeißiger Grünrock wars, den man für seine unwirsche Art mindestens zur Herausgabe eines ordentlichen Frühtrunks zwingen sollte.
„Nimm Er sich zwölf Mann zur Deckung, und bring Er den Grobian einmal her!“
Dem kriegsmächtigen Schweigmund von Unfind wäre beinahe der strategische Atem ausgegangen, als er seinem zurückkehrenden Lieutenant den wackern Landjägermeister in würdiger Haltung voranschreiten sah. Aber es war nur ein kurzer Augenblick der Verlegenheit: wie hingezaubert hielt er plötzlich mit seinem Löwengold vor dem Landjägermeister von Eckhold.
„Donner und Wetter!“, rief dieser; „was soll das heißen? Er treibt es zu weit mit Seinen Künsten!“ Aber dem Landjägermeister stand doch der kalte Schweiß auf der Stirn.
Der Rittmeister sprang vom Pferd und wollte sich vertraulich an den Landjägermeister wenden. Aber dieser wich einen Schritt zurück und streckte abwehrend seine Rechte vor. Da ergriff der Stratege mit starkem Arm die Rechte des Landjägermeisters und drückte sie nieder und sagte zu ihm: „Ich bin Mansfeldischer Rittmeister, und da steht hinter mir meine Schwadron. Da der Durchlauchtigste Graf nicht da ist, muß ich mit Euch verhandeln. Und das ist wohl auch das Kürzeste. Widerstrebet nicht meinem Vorhaben, sonst schleppen Euch meine Leute ins Mansfeldische Lager in der Mark. Unsre Parole soll von diesem Augenblick an heißen: Gutfreund! Jetzt habt Ihr nichts zu reden. Unter vier Augen hab ich zu Euch zu reden; dann kommt die Reihe an Euch!“
Der Landjägermeister wollte doch widersprechen. Aber eine energische Handbewegung des Rittmeisters und dessen rasche Wendung zu seiner Mannschaft schloß ihm den Mund. Auf des Rittmeisters Kommando kam seine Schwadron aus dem Wald hervor und besetzte das Schloß. Seinen Goldfuchs ließ er stehen und begab sich mit dem Jägermeister, der sich unter dem Banne dieser gefürchteten Persönlichkeit wie ein Gefesselter vorkam, nach einer abseits stehenden steinernen Bank im Schloßpark. Dort ließ er sich neben dem Herrn von Eckhold nieder und sagte: „Der Glaube an den Teufel und die schwarze Kunst ist Euer Fehler und mein Unglück. Als ich ein Knabe war, hat dieser unsinnige, verfluchte Glaube meine gute, heißgeliebte Mutter auf den Scheiterhaufen geschleppt. Nun war ich als der Sohn einer Hexe gebrandmarkt und in Verzweiflung gestoßen. Begreift Ihr, was das heißt: ein Kind in der Verzweiflung? Das begreift Ihr nicht, und die ganze Welt nicht! Der Anblick meiner Mutter in Fesseln, die Verwüstung des Wahnsinns in ihrem Blick und ihrer Sprache, ihr Untergang in den Flammen! – Der Anblick ihrer Mörder, die sich mir bald als meine Verfolger zu erkennen gaben: es ist das Fürchterlichste, was einem Kinde widerfahren kann! O Jammer! Jammer! Wenn an der Stelle, wo die Mutterliebe gesessen hat, sich Haß festsetzt, ein tobender, zehrender Haß! – Aber es haben sich doch Menschen gefunden, die sich meiner annahmen. Gebrechliche Weiber, rohe Männer haben sich meiner angenommen, und ich kam durch Gottes gütige und barmherzige Führung in den Dienst des Herzogs Johann Ernst von Eisenach.
Aber der Haß da drinnen saß fest! Und als ich in des Herzogs Gefolge nach Koburg zum Stahlbogenschießen kam, sah ich den Mann, der meine Mutter den Henkersknechten ausgeliefert hatte. Da bäumte sich der Haß in mir auf und durchloderte mir Arme und Beine wie eine verlorne Scheiterhaufenflamme, sodaß ich den Mörder meiner Mutter ins Wasser stieß. Da zog sich der Haß zusammen zu einem steinfesten Knäuel in meiner Brust, und Angst und Reue überflutete ihn. Ich ward flüchtig. Und in den Wäldern nahmen sich Diebe und Räuber, von denen mancher auch durch die Unmenschlichkeit andrer ins Elend gejagt worden war, meiner an und scharten sich in Liebe um mich und folgten mir. So habt Ihr mich kennen gelernt. Und weil ich hurtig und geschickt und nicht dumm war, habt Ihr und andre mich für einen Hexenmeister gehalten. Aber ich sage es Euch, es gibt weder Hexen noch Hexenmeister! Und wenn es welche gibt: meine Mutter und ich sind rein, so wahr mir Gott helfe!“
Die Rede des Rittmeisters ergoß sich wie ein Feuerstrom in das Herz des Jägermeisters. Ein unwiderstehlicher Sturm der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, fegte sie aus der Brust des gräflichen Beamten alles Mißtrauen hinweg. Die Wogen der Aufregung waren zu groß, als daß es in seinem Kopf zu einem ruhigen Denken hätte kommen können. Stumm saß der Mann da, und Tränen rollten über die gebräunten Wetterwangen. Aus dem Gefühl, daß sich ihm jetzt ein braves Herz erschlossen habe, erblühte nach und nach die Heiterkeit des Glaubens, denn für die Wahrheit stehen in dem natürlichen Menschen alle Tore auf.
Dem Landjägermeister war es zu Mute, als müsse er dem jungen Mann Abbitte tun. Und doch kam ihm kein Wort über die Lippen. Da stand vor seinem Geiste neben dem einst verfluchten Spitzbubenmarschall der einst „verfluchte Adam.“ Und nun saß neben dem entsühnten Herrn von Eckhold der entsühnte Rittmeister.
Nach langem Schweigen ergriff der Landjägermeister die Hand des Rittmeisters und sagte: „Wir sind Kameraden!“
Es trat wieder Stille ein. Und auch in der Brust des erschütterten Mannes wurde es nach und nach stiller und ruhiger. Auch dem Rittmeister tat das Schweigen wohl.
Schweigen: Zeichen der Armut sowohl als auch des unsäglichen Reichtums, des Todes sowohl als auch des Heiligsten Lebens, Schleier des Geheimnisses, und auch beredteste Herzenspredigt, Nahrung trostloser Entfremdung und Mantel der Verachtung, aber auch Zuflucht seligster Empfindung, die Heimat der müden Geister, aber auch Heiltum zusammenschlagender Herzen!
„Könnt Ihr mir meine Jugendsünden, zu denen mich Not und Verzweiflung getrieben haben, vergeben und mich als einen ehrlichen Mann ansehen?“, fragte in weichem Tone der Rittmeister.
Da stand der Landjägermeister von Eckhold auf und sagte feierlich: „Wir sind allzumal Sünder! Gott wolle uns vergeben, so sind wir ehrliche Männer! Er bleibt etliche Tage da, und wir gehen miteinander zum Abendmahl. Die Rechnung gilt nicht, wenn unser Herrgott nicht sein Siegel draufdrückt. Dabei bleibts! Da hilft alles nichts! Und nun komm Er herein: Er ist mein Gast!“
Aber der Herr Rittmeister entgegnete: „Ihr seid ein rechtschaffner Mann. So gestattet mir, daß ich Euch noch ein Geheimnis anvertraue und darnach eine große Bitte ausspreche. Es betrifft auch meines Herzens Angelegenheiten.“
Da sah der Landjägermeister den jungen Mann lächelnd an, und ein unbeschreiblicher Ausdruck in seinem edeln Antlitz leuchtete dem Rittmeister wie die Himmelsröte eines Maimorgens ins Herz.
„Ich habe die Ahnung, daß Er nach meiner Tochter fragen will. Wenn ich nicht im Irrtum bin, so bringe Er dieses Kapitel seiner Herzensangelegenheiten bei ihr zum Austrag. Wir beide sind mit einander ins Reine.“
Da umarmte der Herr Rittmeister den Landjägermeister. Und dieser ließ sichs gefallen und führte hernach zum Staunen der Mansfeldischen Reiter ihren Kommandanten gar freundlich nach dem Schlosse.
Vor dem Eingang aber blieb der Rittmeister stehen und ließ seinen Diener Hinz zu sich kommandieren. Dem zählte er eine Anzahl Goldstücke in die Hand mit der Weisung, das Geld dem Löwenwirt in Rudolstadt einzuhändigen mit dem Bedeuten, daß sein Rittmeister im Besitz des Pferdes sei, das dem Löwenwirt vor Jahren gestohlen worden; sintemal es aber für seinen Herrn unentbehrlich sei, folge andurch ein Sümmchen zur Entschädigung, das er sich gefallen lassen möge.
Hinz entfernte sich, und der Landjägermeister lächelte vergnügt und sagte: „So ist es recht!“
Nun stößt mein Leser auf eine Lücke in meinen Urkunden, und ich muß ihn vor der Heidecksburg, so hieß das Rudolstädter Schloß, stehen lassen und kann ihm nicht die Augen- und Herzensweide an dem Wiedersehn ermöglichen, das sich jetzt in dem Schloß zwischen dem Marschall Schweigmund von Unfind und den langwimprigen Damen ereignete. Daß der Landjägermeister von Eckhold gesagt haben wird: „Da hilft alles nichts!“ können wir nach unsern bisherigen Erfahrungen auch ohne urkundliches Zeugnis als ein unumstößliches Faktum ansehen.
Die Kopulation wurde schon nach etlichen Tagen in der Schloßkirche vollzogen, und der einstmalige Informator der Gräfin Anna Sophie und ihrer Schwester, der Herzogin von Weimar, der berühmte Wolfgang Ratich, der nach Rudolstadt gezogen war, als ihn seine frühern Freunde verlassen hatten, stand mit als Zeuge.
Aber gleich am Tage der Ankunft hatte der Rittmeister seine Schwadron nach Orlamünda und Langenorla ins Quartier kommandiert, wohin bald nachzukommen er in Aussicht gestellt hatte.
Nach acht Tagen fuhr die Frau Rittmeister Susanna von Unfind, geborne von Eckhold, mit ihrer Zofe Kordula in einem neuen Wagen mit zwei mutigen Rossen bespannt – dem Hochzeitsgeschenk der Eltern – und mit ihrem Gemahl und dessen Bedienten Hinz, als Vorreitern, nach Orlamünda. In Langenorla ergänzte sich die nun nach dem Mansfeldischen Lager zurückkehrende Schwadron, die sich nunmehr zu Ehren der jungen Frau in Vor- und Nachhut zerlegte.
Es war ein Schäkern und Schmunzeln, ein Spielen und Spaßen, als wär es der Heimzug des Maien.