Sechsundzwanzigstes Kapitel
Herrscheklas!
Die Sophel, Meister Örtleins Ehegespons, saß in ihrem stillen Stübchen an der Tischecke, von der eine Ampel am Arm eines hölzernen Ständers ihr spärliches Licht spendete, und spann. Da erhob sich hinter dem Ofen der alte Echter und stellte sich, mit dem Schwanz wedelnd, vor die Tür. Sein aus dem Katzenkrieg übrig gebliebnes Auge war erblindet. Dagegen schienen Nase und Ohr schärfer geworden zu sein, er schüttelte sich und nieste.
Frau Örtlein schob ihre Spindel zur Seite, nahm die Ampel vom Leuchter und begab sich in die Hausflur an die Treppe, indem sie brummte: „Was solls bedeuten, daß er schon kommt? 'S ist net in der Ordnung!“ Und zur Treppe hinunter rief sie: „Kommst schon? Hasts Leibschneiden doch net wieder?“
„Net 's Leibschneiden, Sophel!“, antwortete der emporsteigende Meister Örtlein, „ich hab Notwendigs mit dir zu reden.“
Die Eheleute traten mit einander in die Stube, und der alte Echter wedelte mit dem Schwanz und stieß mit der Nase seinen Herrn an, nieste und schüttelte sich und legte sich wieder hinter den Ofen.
„Der Martin ist krank“, sagte Meister Örtlein, indem er sein spanisches Rohr hinter den Uhrkasten lehnte, „der Herr Schösser hat Arznei für ihn geholt und hat mir beim Thorbeck Bericht gebracht. Der Junge macht mir Sorge. Als der Schösser fort war, hatt ich keine Ruh mehr; ich hab auch des Thorbecks Einspänner auf morgen bestellt, daß du hinfährst und den Jungen pflegst.“
Frau Örtlein setzte sich neben ihren Eheherrn und faltete die Hände auf dem Schoß und meinte kopfschüttelnd: „Du meinsts gut mit unserm Martin; aber so ists verkehrt. Denn wenn ich nach Heldburg geh, bist du allein und ohne Pflege. Ich denk, die Schössers werden wohl für den Martin Pflege habn. Wenn du mit wolltest, möchts noch sein.“
„Aber den Echter können wir doch nit mitnehmen, Sophel! So ists auch nix!“
„Fahr du allein, Örtlein! Der Echter und ich bleibn daheim. Und wenns net gar schlimm ist, kommst du bald wieder, daß ich net zu lang in der Sorg leb.“
„Auch recht, Sophel! Pack mir morgen früh was für den Jungen ein in meinen Mantelsack; auch aus seiner Kräutersiedel, denn damit siehts bei den Vornehmen gemeiniglich windig aus. Und wenn von den Kreuzpillen noch was da ist, denk dran!“
Am frühen Morgen fuhr Meister Örtlein auf einem mit Leinwand überspannten Wägelein zum Tor hinaus.
Beim Ratsherrn Böhm in Heldburg hielt er nicht an; denn angesichts der Burg, die seinen kranken Martin barg, war kein Aufhaltens.
Vom Schösser freundlichst empfangen und über das Befinden des Hauslehrers gut getröstet, sagte Meister Örtlein: „So wär meine Reise net nötig gewesen; aber nun ich einmal da bin, wolln wirs uns net verdrießen lassen.“
Und der Herr Andreas Götz führte den Besuch zu dem Kranken mit den Worten: „Na, Herr Informator! Da bring ich Ihm einen Doktor zur Nachkur, der Ihm willkommen sein wird. Will nur gehn und ein kleines Traktament bestelln.“
Die Ankunft des Meisters Örtlein war von ganz besondrer Wirkung auf den Patienten; es traten ihm die Tränen in die Augen, und er fragte kleinlaut: „Was macht meine gute Frau Muhme?“
„Macht gut und läßt dich vielmals grüßen. Aber du siehst mir bei alledem doch recht geistlich aus. Nun erzähl mir doch einmal, armer Teufel, was dich angefochten hat.“
Martin erzählte und erzählte, und es ward ihm dabei ungeheuer sauer. Und als er zu Ende war, war Meister Örtlein so klug wie zuvor, und er rief: „Martin! Das sind Flausen. Wenn ich von Koburg extra herfahr und nach dir sehe, so will ich was Ordentliches erzählt haben. Es muß runter, was du auf der Leber hast. Dir sitzt was Besondres drauf; das merk ich. Erleichter dich, sonst wirds net besser!“
Dem jungen Theologus stieg das Blut in die Wangen; er ging mehrmals hastigen Schrittes auf und ab; dann öffnete er das Fenster, und sein Blick heftete sich an den blauen Himmel, als ob von dorther Kraft in Aussicht stünde für sein gemartertes Herz.
Als er sich dem bis zum Äußersten gespannten Meister Örtlein zuwandte, fuhr dieser entsetzt auf und rief: „Junge, mit dir ists schlimm! Du bist blaß, und ich spürs, daß du elend bist. Jetzt beicht! Wenns unserm Herrgott paßt, ist auch einmal ein alter Metzger gut genug zum Auswaschen der Leber!“
Martin setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf mit der Linken. Sein rechter Arm hing schlaff herab. „Setzt euch!“, sagte er zu dem vor ihm stehenden Vetter, „Ihr sollt erfahren, was mich quält.“
Der Alte nahm Platz.
„Ich muß beim Stahlbogenschießen von Anno 14 anfangen. Damals hab ich ein Kind aus dem Pritschjungengewühl herausgezogen, weil es niedergeworfen war und blutete. Dieses Kind hat mich nicht vergessen. Und als ich es kennen lernte, da es zur Jungfrau herangewachsen war, habe ich meinen Frieden verloren. Und diese Jungfrau hatte sich zu mir geneigt, und ich hoffte ein Bündnis mit ihr zu schließen. Aber da hat ihr die Eifersucht ihre Krallen ins weiche Herz geschlagen also, daß sie mich von sich stieß. Da habe ich sehr gelitten, insonderheit, weil ich wußte, daß um meinetwillen groß Herzeleid über sie gekommen war. Aber ach, da war ich in großem Wahn! – Vorgestern abend hab ichs gesehen. – Ich hatte zu ihr aufgeschaut wie zu einem Engel; es hatte mich zu ihr gezogen, daß ich mich selbst vergessen und verloren hatte. – Da stand ich hinter einem Baum, vom Gebüsch verdeckt, und sah, wie sie einem jungen Manne die Hand reichte und ihren Kopf ihm an die Brust legte!“
Martin sprang wieder auf und lief in furchtbarer Aufregung zwischen Tür und Fenster hin und her.
Nach langer Pause fragte Meister Örtlein: „Wer ist die Jungfer? – Und wer ist der junge Mann?“
Da blieb Bötzinger stehen und preßte keuchend hervor: „Ursula Böhm – und – und – derselbe, der auf dem Stahlbogenschießen meinen Vater ins Wasser gestoßen hat - derselbe, den sie in Koburg in der Folterkammer hatten, und den seine Spitzbuben gegen mich haben auswechseln lassen – derselbe, der wieder des Herzogs von Eisenach Grün und Gelb trägt!“
Meister Örtlein war aufgesprungen und rief entsetzt: „Des Ratsherrn Michael Böhms Tochter? – Und der Sohn der Hexe!“
Martin sank nieder auf seinen Stuhl und rief dumpf: „Ja!“
Nun lief Martin Örtlein zwischen Tür und Fenster hin und her, schlug die Hände zusammen, strich sich über die Stirn, stemmte bald den rechten, bald den linken Arm in die Seite und rief: „Des Teufels Kollekteur – Herzoglicher! – Des Teufels Kanzler – des Ratsherrn Michael Böhms Eidam! – Allmächtiger Himmel! – 'S kann net sein, Junge! Du hast geträumt!“
„Nicht geträumt, Vetter! Auf einem Spaziergang hab ichs gesehn, das höllische Spiel, drunten im Grund.“
„'S war Blendwerk des Satanas! Er sucht dich zu verderben!“
„Fast muß ichs glauben! Aber ich habs gesehen mit meinen gesunden Augen. Und sie hat gestern unsre Magd zu mir geschickt und hat wieder mit mir anbinden wollen, nachdem sie doch Jahr und Tag getrotzt hatte – nachdem sie tags vorher mit dem Feinde der Bötzinger gebuhlt. – Mir graut vor diesem Weibe!“
Martin ließ seinen Kopf in die Hände auf den Tisch niedersinken und stöhnte.
Meister Örtlein ergriff das spanische Rohr, setzte seinen Hut auf und sagte zu dem dumpf Brütenden: „Ermanne dich, Junge! Werd des Satanas Schliche auskundschaften. Und hat des Superdenten Krugs Segenskraft schon einmal die schwarze Kunst gebannt, so mags zum zweitenmal wohl auch geschehen, wenns sein muß. Will einmal zur Jungfer Urschel. Die muß mir auch beichten. Vielleicht wird ein Metzger schon mit dem Teufel fertig. Dir ists nun runter von der Leber; 's war eine schwere Wäsche. Aber 's wird nun schon besser werden. Ruh aus, bis ich wieder komm!“
Bötzinger hatte sich erhoben und ließ seinen Vetter ohne Widerspruch gehen. Auf der Treppe stieß Meister Örtlein auf den Herrn Schösser und gab ihm zu verstehen, daß man den Informator allein lassen möge bis zu seiner Rückkehr aus der Stadt, wo er eine wichtige Angelegenheit zu erledigen habe. Und der Herr Götz geleitete Meister Örtlein an das Burgtor und kehrte dann in seine Schreibstube zurück. –
Der Ratsherr Michael Böhm war eben von Gompertshausen zurückgekommen, und seine Ehewirtin saß mit ihm zu Tisch. Das Mittagsessen hatte sich für beide heute aus dem Mittag in den Nachmittag verschoben.
„Die Lindenelsa hatte ich in falschem Verdacht; sie hat auf der Festing net kontra gepflügt. Aber sie weiß sich den Sack noch net anzuhängen, so gut net wie ich.“
Der Ratsherr ließ den Löffel fallen, und seine Ehewirtin wischte sich die Augen und tröstete: „Gott ist mit im Schiff!“
Da pochte es an der Stubentür, und ein trat Meister Örtlein. Es fand eine herzliche, aber sehr ernste Begrüßung statt, und dem ratsherrlichen Ehepaar kams über die Haut, als hätte sich bei ihnen ein Bote aus Zion eingestellt. Aber Meister Örtlein hatte es eilig und fragte alsbald, ob er nicht die Tochter unter vier Augen sprechen könne. „Will nach ihr sehn“, sagte Frau Böhm und entfernte sich. Bald erschien sie wieder und führte den Besuch zum Giebelstübchen hinauf.
Der Ratsherr und sein Ehegespons waren in einer Stimmung, als säße der Storch auf dem Dache. Und er sagte zu ihr: „Mir ist, als ob uns unsre Urschel heut zum zweitenmal geboren werden sollte.“ Und sie erwiderte: „Gottes Will hat kein Warum.“
Und oben im Giebelstübchen zitterten und duckten sich die Muskatblättlein am Fenster, als ob ein Bär eingebrochen wäre in das jungfräuliche Heiligtum, wo nur Engel und Träume Zutritt hatten; und Rosmarin und Marumverum bebten bei jedem Wort des Meisters Örtlein, und in der Brust der Jungfer Ursel flatterte das brütende Gram- und Angstgeflügel scheu auf, und die Rebellion stieg zu Kopf und verscheuchte jeglichen Gedanken.
„Also das Kind, das mein Neffe Martin Anno 14 auf dem Stahlbogenschießen aus dem Tumult gerettet hat, seid Ihr, Jungfer Urschel. Und der Martin hatte ein Aug auf Euch geworfen, und Ihr habt ihn auch leiden mögen? Aber hernach seid Ihr schelig worden?“
Jungfer Ursel bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, und die Wogen eines gewaltigen Sturmes brachen sich an ihren Armen.
„Und gestern habt Ihr die Festingsmagd zum Hauslehrer geschickt? Und vorgestern gegen abend habt Ihr mit dem Postreuter von Eisenach, mit des Teufels Hofmarschall, der Euer Gänslein tot geritten, der den alten Bötzinger ins Wasser gestoßen hat, der Räuberhauptmann und der schwarzen Kunst angeklagt war und in der Folterkammer gesteckt hat – mit dem Gestank der Hölle habt Ihr gebuhlt?“
Ursel fuhr entsetzt auf. „Ach, du Herr Jesus Christus“! Unheimliches Feuer blitzte aus den großen Augen. „Aus den Händen der Mörder hat er mich befreit! Und nun wollen sie mich mit Schande erwürgen! – Ich spring ins Wasser!“
Meister Örtlein vertrat der Jungfer Ursel die Tür, als er merkte, daß ihr das Stübchen zu eng wurde.
„Der Hauslehrer hat es gesehen. Ihr habt dem Sohn der Hexe die Hand gereicht und ihm Euern Kopf an die Brust gelegt – vorgestern draußen im Grund! Und darüber ist der Martin in Verzweiflung; und davon ist er krank, und das bringt ihn unter die Erde!“ Meister Örtlein keuchte vor Aufregung.
Jungfer Ursel war zusammengebrochen. Es schüttelte sie, und sie schluchzte laut, sehr laut, daß es dem Örtlein durch Mark und Bein ging.
Der Mut zur „Leberwäsche“ war ihm vergangen. Er stand ratlos da und starrte das arme, unglückliche Mägdlein an als ein Geschöpf, an dem er sich schwer versündigt haben müsse. Seine Rat- und Hilflosigkeit machte den strammen Meister zu einem verlassenen Schächer.
Sein Glaube an eine Teufelsbestrickung war so gründlich erschüttert, daß er wie ein fauler Pilz in sich zusammenbrach, und die warmen Wellen des Mitleids darüber schlugen und also stiegen und wuchsen, daß das alte, treue Metzgerherz sich erholte und wieder erstarkte und den knorrigen, ungestümen Beichtvater zu der zertretnen Kreatur hinzog. Er streichelte den von dem bebenden Jungfrauenhaupt herabfließenden goldnen Zopf; dann legte er die Hand auf die Schulter des schluchzenden Kindes und neigte sich nieder zu ihm, und in einem so weichen, melodischen Ton, wie ihn das am Boden liegende spanische Rohr noch nie vernommen hatte, sagte er: „Seid stille! Seid stille, Jungfer Urschel!“ Wie innig konnte er bitten, der grobhandige Leberwäscher! „Seid doch stille! Ich glaubs ja net mehr! Ihr seid ein bravs Mägdlein, und den Jungen da oben muß der Teufel geblendet haben.“
Da begann Jungfer Ursel ruhiger zu werden.
„'S ist gut! Ihr seid ein bravs Kind! Ich bin halt ein grober Metzger. Der Superdent hätts besser gemacht. So ein Gstudierter und ordentlicher Beichtvater kennt die Schlich besser. – Nun seid nur stille! Und nehmt mirs net für ungut. – Aber der
Martin hat mich halt auch gedauert. An dem frißt der Gram wie die stachelig Raupen am weichen Blättlein. – Steht auf, Jungfer Urschel, und erzählt mirs, wies ist! Amend kann ich dem Martin den Kopf wieder zurecht richt und die garstig Raupen zertreten.“
Ursel erhob sich, trocknete sich das Gesicht und setzte sich auf ihr Bett. Nachher erzählte sie: „Ich hab dem Hauslehrer weh getan; aber ich kann nix dafür. Wenn Ihr vom Schloßfräulein in Mupperg gehört habt, die ist an allem Jammer schuld. Denn wie ich dacht, daß mir der Hauslehrer zugetan sei – und ich habs auch in mir gespürt –, da hat mein Vater beim Thorbeck in Koburg vom Herrn von Birkig gehört, daß er den Informator Bötzinger hätt wegschicken müssen wegen des Fräuleins in Mupperg. Und das hat mich gewurmt. Und hernach kam einmal unsers Knechts Vater gefahrn mit einer vornehmen Herrschaft von Unterschwappach her und hat bei uns angehalten, weil er seinen Zacher einmal hat sprechen wolln. Die Leut sind ein wenig bei uns eingekehrt, und das Schloßfräulein wars mit ihren Eltern. Und wie sie wieder fort sind zum Einsteigen, hats Fräulein mir ins Ohr gesagt: „Ich kenn den Martin Bötzinger auch.“ Und die gnädige Frau hat meinen Vater beauftragt, den Hauslehrer nach Rudolstadt zu ihnen einzuladen. Da war alle Hoffnung hin, und ich dacht, ich müßt sterben. Vorgestern wollt mir nun die lahm Magd in Gompertshausen die Hoffnung wieder aufricht. Aber auf dem Weg dahin hat mich ein Pillenhändler angefallen und ein böser Mönch, im Gellershäuser Holz. Und sie hatten mir schon die Händ gebunden“ –
Meister Örtlein machte einen Satz in die Höhe und stürzte auf Ursel zu, als gälte es, die Jungfer Ursel noch einmal zu befreien, und schlug die Hände zusammen und rief: „Die schwere Not solln die Kerl kriegn! Euch gebunden! Das Donnerwetter!“
Und er faßte die Hände der Jungfer Ursel und besah ihre Arme, ob sie verletzt wären.
„Da hab ich den lieben Gott angerufen; und ich dachte an den Hauslehrer und mochte net sterben. Auf einmal hör ich einen Schuß; dann war ich vor Angst und Schrecken taub und hörte und sah nichts mehr. Als ich mich hernach umsehn wollt, stand ein Mann vor mir; und als ich ihm ins Gesicht sah, wars der wild Reiter. Da kam die Angst wieder über mich, und ich wollt ausreißen. Aber ich konnt net; denn des Mannes Gesicht sah nicht mehr aus wie des wilden Reiters Gesicht; und doch war ers. Und wie ich ihn so anstarre, spricht er: „Ich will Euch in Sicherheit bringen. Ich geh nicht mehr auf bösen Wegen; ich bin der Postreuter des Herzogs von Eisenach. Gott sei Dank, daß ich Euch aus den Händen der rohen Gesellen erretten konnte!“ So sagte er. Aber es ist mir doch wieder angst und bang worden. Und als ich wieder ausreißen wollt, faßte er mich an der Hand und sprach: „Ich hab Euch gerettet und bring Euch auch heim!“ Darnach führte er mich ans Wasser, daß ich mir das Blut aus dem Gesicht waschen sollt. Nachher erzählte er, daß ihm die lahm Magd meines Herzens Geschicht gesagt hätt. Und dann sagte er: „Ihr wißt von einem Edelfräulein, und Martin weiß von ihr, und ich weiß von ihr; sie gehört zu uns; wir sind vom Schicksal zu einem Ring verbunden.“ Und noch gar viel hat er gesagt. Aber ich kanns net wieder erzähln; denn er sprach alles so schön und vornehm, wie es in den Büchern steht. Aber die Worte weiß ich noch: die Jugendbekannte des Martin, das Fräulein Susanna in Rudolstadt, ist mir heimlich verlobt!“
Meister Örtlein schlug die Hände zusammen, räusperte sich und tat, als wolle er auf und ab gehen, kam aber bloß zwei Schritte an Ursel vorbei. „Wo unser Herrgott so schaltet und waltet, da kann der Teufel net ankommen!“
Ursel fuhr fort: „Hernach wollte ich dem Reuter danken und gab ihm die Hand. Aber ich konnte net redn, und ich mußte weinen und wurde trunken, und da muß ich meinen Kopf an die Brust des Mannes gelehnt haben. Da lachte eins im Wald.
'S müßt der Hauslehrer gewesen sein?“
„Der wars!“, fiel Meister Örtlein ein. Und 's war halt doch kein Blendwerk, was ihn niederwarf und ihm den Gurgelstock zuhielt. Nun solls ihm einer verdenken, daß er in Verzweiflung ist!“
Ursel fing wieder an zu weinen. Aber der Metzgermeister tat nun kräftigst Einspruch. „Jungfer Urschel! Net mehr gflennt! Die Leber ist nun rein; nun wird sich auch der Himmel schön machen. Ihr müßt heut noch mit mir auf die Festing. Den armen Jungen dürfen wir nimmer im Elend lassen. Steht auf, wascht Eure Augen und macht Euch bereit! Ich will hinunter zum Ratsherrn und will ihm sagen, daß er mit dem Superdent einstweilen auf die Festing gehn soll zum Schösser, und daß ich nachkommen würd. Sie brauchen net zu wissen, daß ich Euch mitbring. Was ich nun weiß, solln net gleich alle Leut erfahrn; es nutzt sich sonst ab oder hängt sich Ungehöriges an, ehs an den Martin kommt. Der solls bekommen frisch und blank, richtig gewogen und gemessen. Was Ihr mir gesagt habt, Jungfer Urschel, das geht mir halt noch übers Evangelium in der Bibel. – Sophel, Sophel! wenn dus wüßtst, was heut noch mit unserm Martin passiert!“
Mit den letzten Worten polterte Meister Örtlein zur Tür hinaus und die Treppe hinab.
Unten in der Stube stand der Ratsherr mit seiner Gemahlin in höchster Spannung, als ihr Storch eintrat.
„Gott sei Dank, daß er mir geheißen hat in meinem Herzen, nach Heldburg zu fahren“, rief Meister Örtlein. „Es wird sich nun schon machen. Nun geh Er nur zum Superdent, Herr Böhm, und nimm Er ihn mit auf die Festing zum Schösser. Ich werd nachkommen. Denn gleich kann ich net mitgehn; hab erst noch was zu besorgen. Aber vom Schösser seinem Leistner müssen wir heut noch ein wenig in Kameradschaft trinken, wie selbigmal Pfingsten!“
Die ratsherrliche Hausfrau rückte einen Sessel zurecht und fuhr mit der Hand über den weißen Ahorntisch und nötigte Meister Örtlein zum Niedersehen. „Habt recht, Frau Böhmin, muß ein wenig ausruhn!“, sprach Meister Örtlein, indem er sich niederließ.
Er war wirklich recht müde, der Meister Örtlein. Oben auf der Festung wars ihm schon in die Glieder gefahren; aber da oben in dem Allerheiligsten des Böhmschen Hauses hatten ihm wahrhaftig die Gebeine geschlottert. Die Aufregung hatte eine physische Abspannung zurückgelassen. Es war dem Mann, als hätte der liebe Herrgott aus Versehen das Himmelsgewölbe ein wenig auf die Seite kippen lassen und den Meister Örtlein von Koburg bestellt, das ungeheure Ding wieder in die baurißmäßige Lage zu bringen. Er war wirklich müd. Aber er war sich bewußt, daß er seinem Herrgott einen großen Gefallen getan habe. Und aus diesem Bewußtsein stieg eine Freude auf und machte sich in der breiten Brust so breit, als sie nur konnte, eine Freude, wie sie der gute Meister Örtlein in seinem ganzen Leben noch nicht empfunden hatte. Sein Auge glänzte, und sein Mund spitzte sich.
Und er achtete der Müdigkeit nicht und begann mit seinem spanischen Rohr zwischen den Beinen zu quirlen.
Es fuhr ein Geschirr zum Hof ein, und der Ratsherr sah durchs Fenster und sagte: „Die Elsa Geßnerin kommt. Will noch ihre Botschaft anhörn; und hernach will ich mit dem Superdent auf die Festing.“
Da kam die lahme Magd angehumpelt. „Heut hat der Centgraf Böhm Termin mit mir gehalten. Und das liegt mir mehr an als das fahrend Ding. Der Centgraf Böhm soll mir vom Leib bleibn; aber der Ratsherr Michel Böhm soll mich auf die Festing fahrn lassn. Denn mein Fritz schlag ich net wieder den stickeligen Berg rauf. Der kann derweil in Euerm Stall Haber knappern. Denn ich muß doch sehn, ob der Hauslehrer da drobn richtig übergeschnappt ist. – Hihihi! – Da ist ja auch der Meister Örtlein! – Er will wohl nachsehn, ob des Ratsherrn Säu noch ordentlich fressen, und ob er sich net wieder Kälber hat stehln lassen? – Hihihi!“
„Laß Er seine Gäul anspannen für die Elsa Geßnerin, Herr Böhm! Und die Frau Böhmin mag einmal nach der Jungfer Urschel sehn. Derweil will ich einmal mit der kleinen Marketenderin da reden“, sagte Meister Örtlein.
Der Ratsherr und seine Gemahlin entfernten sich, und Meister Örtlein erzählte nun der lahmen Magd, wie seine „Leberwäsche“ droben auf der Festung und da im Hause des Ratsherrn ausgefallen war. Dann schärfte er ihr ein: „Ihr fahrt nun auf die Festing und bringt beim Martin an, was Ihr über die Urschel jetzt erfahrn habt, und wartet bei ihm, bis ich komm! Hab lang gemerkt daß Ihr die Gewalt habt. – Ich bring die Jungfer Urschel mit. Die Sach muß in Ordnung komm. Aber laßt sonst keinen Menschen was merkn: die Sach ist unser Sach! – 'S muß aufgeräumt werden; so tuts net gut. Der Junge drobn und die Urschel müssen heut noch mit einander red!“
Da machte die lahme Magd kleine Äuglein und sagte: „Hätts net von Ihm gedacht, Meister Örtlein. Er ist mein Mann! Er ist gescheit und tapfer wie ein General! Hihihi! Die Ratsherrn und die Superdenten verstehen nix; die verstehn soviel von der Urschel und des Hauslehrers Sach, wie der Zacher von meiner Gicht und meinem Fritz.“
Die lahme Magd fuhr mit des Ratsherrn Geschirr nach der Festung. Beim Losfahren sagte Zacher: „Son Haufen Gicht hat noch kein Mensch gfahrn, wie alleweil ich.“
„Du bist ein Staatskerl, Zacher! Mist kann jeder fahrn; aber net 's fahrend Ding!
Die Gnädige von Gompertshausen wird schon ein guts Trinkgeld spendiern!
Dein Mutwill wird dir schon noch angestrichen werden, du Mistfink!“
Zacher „kriegte“ einen roten Kopf; aber er kratzte sich nicht hinterm Ohr, sondern fing ein wohl rhythmisiertes Spiel mit seiner Peitsche an.
Der „Gnädigen von Gompertshausen“ folgte bald der Ratsherr selbander mit dem Superintendenten zu Fuß nach. Und Meister Örtlein wartete in Gesellschaft der Frau Böhm noch auf die Jungfer Ursel. –
Auf dem Hof der Festung gab Zacher mit der Peitsche das Zeichen der Ankunft, und bald kam die Liedermagd und half der Gompertshäuser Großmacht vom Wagen und die Treppe hinauf nach dem berühmten Konferenzzimmer.
Auf der Treppe blieb Elsa stehen und flüsterte: „Weis her deine recht Hand!“ – Sie studierte die Linien der hohlen Hand wie eine Zigeunerin; dann machte sie kleine Augen und sah zu dem frischen Gesicht der Magd auf wie ein Schalk und scherzte:
„Der lang Strich ist die Itz; über der Itz drübn laufen zwei Weg zusamm nach dem Goldfinger. Weißts, was dös bedeut?“
„Weiß net“, entgegnete die Magd.
„Denk nach! Denk nach! Alleweil mach, daß ich zum Hauslehrer komm!“
Die Lindenelsa klopfte an des Hauslehrers Tür, sagte zu ihrer Begleiterin: „Nun geh, und denk nach!“ und schlüpfte dann in das Informationszimmer. Die Rolle der Information war heut der lahmen Magd zugefallen.
„Zuriegeln!“, sagte sie zu dem geistlichen Simplicius.
Er führte den Befehl aus und wollte fragen; aber sie legte den Finger auf den Mund und machte mit der andern Hand eine Bewegung nach einem Sessel hin. Martin setzte sich, und die lahme Magd postierte sich auf ein Kistchen, das gegenüber in der Ecke stand.
„Sola! Alleweil sind wir so weit! – Vorgestern, wenn Er gekommen wär, wärs in Gompertshausen fertig worden. Er hat net Wort gehalten!“
„Ach, Elsa, ich war auf dem Weg! Aber selbigen Weges bin ich auf eine giftige Schlange gestoßen, also daß mir der Schreck alle Glieder lähmte.“
„Du meine Güte! In meinem Kopf gehts zu wie auf dem Markt in Koburg, wenn der Herzog Hetzjagd hält! Freilich doch! Hätt beinah die Hauptsach übersehn. – Ist auf dem Weg gewesen. Und die Jungfer Böhmin ist auch auf dem Weg gewesen. Freilich!“
„Die Schlange! Des Spitzbubenmarschalls Buhle!“, stieß der Hauslehrer durch die Zähne.
„Hihihi! – Sachte! Sachte! – Den Spitzbubenmarschall hat der alt Bötzinger auf dem Gewissen. Und der Spitzbubenmarschall ist über alle Berg und kommt net wieder. Aber der Herzogliche Postreuter Schweigmund von Unfind reit alleweil staatsmäßig durchs Land. – Und der unflätig Mönch Willius mit seinem Kumpan streicht durch Dorf und Wald und stiehlt und pratzt und pratzt und maust und fällt die Jüngferle an. Und wenn der Postreuter mit seinem Hinz kommt in Grün und Gelb und sieht sötten Unfug und sötte himmelschreiend Wirtschaft: da ists halt um die Kumpanei geschehn. Und der Jungfernretter ist kein Jungfernschänder! Und was Er gesehn hat, dös war keine Schlange; dös war halt die Jungfer Urschel Böhmin von Heldburg, des ehrbaren und wohlachtbaren Ratsherrn Michel Böhms sittsam Töchterle! Aber der Hinneröm und der Mönch hatten das arme Kind gebunden im Gellershäuser Holz, und“ –
Martin Bötzinger, der mit wachsender Spannung dem Bericht der Gompertshäuser Großmacht gelauscht hatte, sprang auf und stürzte sich vor dem niedrigen Machtsitz auf die Knie. Er erfaßte die beiden krummen Gichthände und rief in das Gesicht mit den kleinen Äuglein: „Ursula Böhm – gebunden von dem Auswurf – im Gellershäuser Holz?“
„Meine Händ könn'n das Drücken net vertrag; die sind bloß ans Reißen gewöhnt. Und wenn Ihr auf Euerm Stuhl sitzen bleibt, verstehn wir einander ebn so gut.“
Der Hauslehrer ließ die krummen Hände fahren, erhob sich und ließ sich seinem ganzen Gewicht nach – und er war nicht gering belastet – auf seinen Sessel fallen, daß er „knerzte.“
„Sola! – Der Hans und der Martin von Mupperg! Die Jungen habn mir schon arg im Herzen rumgetrampelt. 'S hat mir manchmal geblut! Aber da hab ich die Zähn zusammengebissen und hab denkt: Dös ist noch viel schlimmer wie 's fahrend Ding. Ach, du liebstes Gottle!“
Die lahme Magd wischte sich die Augen. Aber nun wurden sie groß, und ein Glanz ging von ihnen aus, als ob ein Johannisfeuer herausloderte. „Gebunden! Die Jungfer Böhmin, das sittsam Kind! Das Euch mit seinem Leben umklammert wie im Lercheneile das Weiß das Gelb! – Und das Weiß sollt vom Gelben gerissen werden und unter den Unflat kommen! O, Jele! Jele! Aber da kamen die Grüngelben! – Dem Hinneröm hat des Postreuters Pistolenkugel den Sündenarm zerschmettert, und der Hinz hat ihn gleich niedergestochen. Das war der Mord im Gellershäuser Holz; freilich! Wird Er denn nun nüchtern, Herr Infermater! He? – Den Mönch habn sie laufen lassen. Und da lag das arm Kind gebunden, mit blutigem Gesicht – wie tot!“
Martin Bötzinger stöhnte. Er barg den Kopf zwischen den Händen auf dem Tische.
„Horcht zu, Herr Bötzinger! 'S ist noch net aus. Der Teufel muß in seiner Komödie erst noch das Siegel drauf drück. – Der Postreuter war erst bei mir gewesen; er hat sein Mütterle einmal wolln besüch und sich in Ehren präsentieren. Dem hatt ichs erzählt, wies mit dem Hauslehrer, seinem Mupperger Gespiel, steht von wegen der Urschel Böhmin, und daß ich beide bestellt hätt nach Gompertshausen – heimlich – zur Friedensstiftung und Heiling und Stärking. Und hernach sind sie fei beid net kommn. – Aber nun hat der Postreuter, wie er die Strick zerschnitten gehabt hatt und 's Gsicht gewaschen war, der Jungfer Böhmin alles gesagt, was ich ihr hatt sagen wolln. Und weil sie dacht, des Schössers Hauslehrer wollt nach Rudolstadt frein – das Schloßfräln, die Susanna –, hatte sie mit Euch getrotzt. Wie ihr aber der Postreuter gesagt hat: Das Fräulein Susanna in Rudolstadt ist mir heimlich verlobt – da“ –
„Gerechter Gott im Himmel!“, rief der geistliche Simplicius aus und ging mehrmals in größter Aufregung auf und ab.
„Setzt Euch nur!“, befahl die Gompertshäuser Großmacht.
Martin starrte vor sich hin, und in seiner Brust arbeitete es gewaltig. Die lahme Magd machte kleine Äuglein, erhob sich von ihrer Kiste in der Ecke und humpelte an den Hauslehrer heran. Und leise flüsterte sie zu ihm auf: „Und wie die Urschel das hörte, wird ihr 's Kämmerle in der Brust zu eng geworden sein, und ihrn Retter wird sie halt auch net mehr für einen Hexenmeister gehalten habn. Wie sie sich bei ihm hat bedanken wollen, ist sie trunken worden, und es war gut, daß der Postreuter selt gstanden ist, daß sie sich a weng anlehnen hat können, sonst wär sie umgefalln.“ – Elsa hob ihre Gichthände hoch auf, und ihre Augen wurden groß, und sie rief: „Das hält kein Gaul net aus! Dann humpelte sie eilig wieder nach ihrer Ecke und ließ sich auf ihrer Kiste nieder und stöhnte: Sola! Soo!“
„Des Herrn Rat ist wunderbarlich!“, rief Martin Bötzinger aus, indem er sich erhob. „Des Herrn Name sei gelobet und gepreist! Barmherzig und gnädig ist der Herr! So wir meinen, daß er uns verlassen wird, wirket er unsichtbar Rettung und Erlösung aus den dunkeln Tiefen der Angst und Not! Und so wir meinen, ohnmächtig zu versinken, sendet er seinen Engel der Stärkung!“
„Amen! Amen!“, rief die Lindenelsa; „aber ich bin net der Engel!“
Da pochte es leise an der Tür. Martin Bötzinger hatte das Pochen nicht vernommen und wollte weiter reden in seiner gehobnen Stimmung. Aber die lahme Magd stand plötzlich auf, winkte ab und legte den Finger an die Lippen. Dann humpelte sie an die Tür und öffnete. Meister Örtlein und Jungfer Ursula Böhm standen da. Elsa schlüpfte hinaus, schob das angekommne Paar ins Zimmer und verriegelte hinter sich die Tür.
Dann humpelte sie schleunigst in die Mitte des Zimmers und hob ihre Hände hoch und rief funkelnden Auges: „Da ist der Engel! – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“
Die Gompertshäuser Großmacht hatte ihren Sitz wieder eingenommen. Der hochbegeisterte Martin Bötzinger stand da wie eine Bildsäule, und Jungfer Ursula Böhm, auf deren Antlitz Purpurflammen und Lilienschmelz wechselten, – mit niedergeschlagnen Augen – blendete wohl wie ein Engel. Von dem goldnen Haar floß es wie Heiligenschein, und der weiße Saum des Hemds über dem Busen und der weiße Zwillingsschimmer unter dem Gewandsaum leuchteten als Predigt der Unschuld. – Die hehre Stille dieses Augenblicks, wo Vergangenheit und Zukunft als Winter und Frühling, als Schmerzenslaute und Seligkeitsklänge wallten und wogten, ward von Meister Örtlein, indem er sich zwischen die beiden Jugendsäulen stellte, mit den Worten unterbrochen: „Die schwarzen Augenbinden sind gefallen: nun schaut einander an und gebt einander die Hände und redt miteinander und sprecht: Wir glauben all an einen Gott!“
Meister Örtlein wandte sich und rückte sich einen Stuhl zurecht.
Da stürzte die geistliche Bildsäule in der Richtung nach dem „Engel“ und umfing ihn mit starken Armen und ließ den weißen Saumschein niederleuchten in die bebende Brust unter dem trunkenen Haupt.
„Sola!“, rief die Gompertshäuser Großmacht; und sie humpelte heran und strich mit ihren krummen Gichthänden das überglückliche, schluchzende Paar.
Meister Örtlein aber konnte den Anblick des hohen Wogenganges menschlichen Lebens nicht ertragen, wandte sich ab und räusperte sich und wischte sich die Augen.
Die Sonne war über die Haßberge hinabgesunken.
Der Herr Superintendent Sebaldus Krug und der Ratsherr Michael Böhm saßen mit dem Amtsschösser Andreas Götz in vertraulichem Gespräch. Aber sie waren nicht ungehalten, als die Magd es unterbrach mit der Meldung, das Essen sei fertig, und
trügen ihr auf, den Meister Örtlein zu invitieren.
Es wurde „gestaufter Karpfen mit Sardellenbrüh“ aufgetragen, und Meister Örtlein kam zur rechten Zeit und wurde auf das freundlichste begrüßt. Aber wegen des lateinischen Ausdrucks, der sich in seinen Gesichtszügen ausprägte, ward er energisch interpelliert und zugleich lebhaft über das Befinden des Hauslehrers examiniert. Das schien ihm lästig zu fallen; er räusperte sich energisch und ließ sich auf dem für ihn bereitgehaltnen Stuhl ein wenig kurz angebunden mit den Worten nieder: „Die Berg habn breite Füß!“ – 'S war ihm eine Drachenkralle auf die Leber gefalln; aber sie ist wieder herunter. – „Möcht wissen alleweil, wie die Befindung des Karpfens ausfällt; er fährt mir net übel in die Nasen.“
Damit gab sich das Kleeblatt, das sich mit seinen Nasen hinsichtlich des Karpfens in derselben Lage befand wie Meister Örtlein, zufrieden. Es entstand eine kleine Pause im Gedankenaustausch. Denn die nach innen gerichtete Tätigkeit der Lippen und Zähne forderte die Zunge heraus zu einer Prüfung des von der Speisepolizei, der Nase, ausgestellten Empfehlungsattestes. Diese Prüfung mußte in einer wohlgefälligen Harmonie zwischen Zunge und Nase eine animierende Auflösung gefunden haben, denn der lateinische Ausdruck des Metzgerantliches übersetzte sich bald in ein gemütliches Koburgisch, wie mans beim Thorbeck in guter Laune pflegte, und des Herrn Superintendenten hochgeistlicher Gesichtszug verwandelte sich so, daß er beinahe das Lächeln weltlicher Aalglätte streifte, und des Ratsherrn Sorgenkreuz auf der Stirn nahm die Gestalt des Pluszeichens an, und auf des Amtsschössers Rechenstirn zerfiel das Minuszeichen, das der angetretne Zechabend wie ein Schatten heraufbeschworen hatte, zum Ausrufezeichen herzlicher Gastfreundschaft.
Der Herr Superintendent wischte sich den Mund und ergriff den Becher, also sprechend: „Sintemal des jungen Theologi Bötzinger geschwinder Krankheitsanfall uns nicht mehr, wie es scheint, mit dem Sorgenbengel dränget, und des ehrbaren Ratsherrn Michael Böhms Töchterlein in Nummro Sicher gekommen ist vor sothanen Unbilden erbärmiglicher Landstreicher, maßen unser Herrgott mit seines Sohnes Blutgewalt im Regiment sitzt; soll uns nichts hinderlich sein und es zu unsers Herzens Freude gedeihen, auf dieser Kinder Gesundheit zu trinken!“
Die vier Männer erhoben sich von ihren Sitzen und stießen feierlich mit einander an.
Darnach aber neigte sich der Ratsherr Böhm tiefer beim Essen, als nötig, weil ihm Wasser ins Auge getreten war. Und Meister Örtlein griff nach seinem Sacktuch und tat, als wäre ihm eine Gräte unrecht gekommen.
Mochte die Ursache Grätensorge sein, oder der Ernst des geistlichen Trinkspruches: es trat wieder eine längere Pause ein, während der aber der Karpfen zur Neige gegangen war.
Da erschienen zwei Mägde, räumten das Karpfengeschirr ab und trugen „Gans in gedämpften Zwiebeln“ auf.
Nun erhob sich der Herr Amtsschösser, ergriff seinen Becher und redete also: „Cessante causa cessat effectus! Maßen von der Unschuld der Jungfer und auch von des jungen Bötzingers Leben die Drachenkralle hinweggenommen ist, also sei auch das Leid von hinnen gestoßen! Und abermalen: cessante Causa cessat effectus! Weil eine gute Tafel Fröhlichkeit wirken will, darumb lasset uns der Tafel Gaben angenehm sein zur Genesung aus Sorge und Leid!“
Die Wirkung des Schösserschen Trinkspruches blieb nicht aus: auf den Gesichtern der Anstoßenden traten die Vorboten schöner Vergnüglichkeit zu Tage.
„Schick uns etliche Krüge Leistner herauf!“, rief der Herr Amtsschösser der sich zuletzt entfernenden Magd nach.
Der Herr Superintendent Sebaldus Krug wischte sich schmunzelnd den Mund. „Herr Amtsschösser!“, sagte er, „wenn Ihr Eure Burggeister zitieret, so steht Euch das nicht übel an. Aber bedenket wohl, daß die Geisterbeschwörer ein gefährliches Spiel treiben!“
„Meine Burggeister sind nit aus der Hölle!“, entgegnete aufgeräumt der Herr Amtsschösser, „und alle guten Geister loben Gott den Herrn!“
„Amen!“, rief Meister Örtlein. „Des Herrn Amtsschössers Burggeister mögen sich ja wohl gar mit der hochwürdigen und gottseligen Geistlichkeit vertragen. Aber unsers Herzogs Stallmeister ist übel beraten; geht ihm allenthalben ein Mittagsgeist nach, der seiner noch lebenden Ehefrau völlig gleich siehet. Und ob er auch seine Wohnung fortwährend wechselt, folgt er ihm in jegliche Miete.“
Da nahm der Herr Superintendent eine sehr würdige Miene an und sagte: „Dieses Mysterium ist mir auch zu Ohren kommen, und halte ich dafür, daß der Allmächtige dieses Doppelgesicht zulässet, den Herrn Hofstallmeister auf das baldige Sterben seines Ehegemahls fürzubereiten.“
Aber Meister Örtlein wagte der Hochwürden zu entgegnen: „Ich halte dafür, daß solcher Mittagsgeist eher eine Waldfee ist, so die Kunst versteht, in Gestalt und Aussehen der Frau Hofstallmeisterin zu gleichen. Denn es fällt mir ein, daß Kaiser Karolus majorus ehelich mit einer Waldfee zusammen lebte, obschon er der berufne Gemahl seiner Kaiserin war und zahlreiche Kinder gezeuget hatte. Aber nur in des großen Karoli Nähe war selbige Waldfee lebendig und frisch, und ohne ihn war sie tot und leichenkalt. Einstmalen schlief des Kaisers Buhlfee; und weil ihr Mund offen stand, und die Sonne hinein schien, sah der Kaiser unter ihrer Zunge ein Weizenkorn verborgen liegen. Das ließ er herausnehmen, und von Stund an war sie tot und wachte nicht wieder auf.“
„Nunc est bibendum!“, rief jetzt der Herr Amtsschösser und füllte seinen Gästen die Becher von dem angekommnen Leistner.
Während die Herren vergnügt weiter zechten, fuhren die lahme Magd und Jungfer Ursel den Festungsberg hinab. Und beiden war es, als führen sie in den Wolken – als wären sie dem Weltuntergang entronnen und sähen eine Wunderaue auftauchen, wo Engel im Grase mit goldnen Scheiben spielen. Da bog die Lindenelsa mit ihrer Rechten den Kopf der Ursel näher an sich und sagte mit
tiefer Stimme: „Drobn sitzt nun der gelahrt Superdent und weiß nix! Der soll wart bis zur Hiegabet! Aber der Koburger Metzger hat ein'n hurtigen Kopf und gemahnt mich in seinem Getu an den Herrscheklas. – Was wird die Frau Böhmin sagen! Du liebstes Gottle! – Ich wills ihr nachher hüsch erzähl. Und Ihr könnt in Euerm obern Stüble ein Vaterunser bet. Und müd werdt Ihr auch sein; könnt Euch ins Bett legn, wenn Ihr auch net gleich schlaft.“
Da sank der Kopf der Jungfer Ursel nieder auf die Schulter der lahmen Magd: „Ach Gott! Elsa, es klopft mir in den Adern wie Sturm. Und das Glück ist auf mich gefallen wie ein Fuder Heu! – Ich dacht, ich müßt erstick! – Und wenn ich dran denk, Elsa! – Ach Gott! Ich möcht laut singn vor Glück!“ –
„Zehn Gebote schärf Gott ein! Lasset uns gehorsam sein!“, sang der Nachtwächter in Heldburg. Da näherten sich vorsichtig und bedächtig dem Städtlein der Herr Superintendent Sebaldus Krug und der Ratsherr Michael Böhm in mächtig nach innen gekehrter Heiterkeit.
Meister Örtlein nächtigte auf der Festung und mußte einen Stuhl zu Hilfe nehmen, um in das sich gewaltig blähende Bett zu gelangen.
Und unser geistlicher Simplicius schloß ordnungsmäßig alle, die er zu den Seinen zählte, und alle, die nicht dazu gehörten, in sein kräftiges Nachtgebet ein, und die gewonnene Geliebte fand darin ihren Platz auf blinkendem Hochsitz.
In den Rat, den die Lindenelsa der Jungfer Ursel auf der Heimfahrt gab, „im obern Stüble ein Vaterunser zu beten und sich ins Bett zu legen,“ während Ihro Gompertshäuser Herrlichkeit „der Frau Böhmin“ alles „hübsch“ erzählen werde, hatte sich ein großer Rechenfehler eingeschlichen.
Wie hätte die aus ihrem schweren Leid plötzlich herausgehobne, in Überglück schwelgende Jungfrau es vermocht, an der Mutter vorüberzugehen, ohne sich ihr als Neugeborne zu zeigen, – an der Mutter, deren Seelenleben in dem des einzigen Kindes aufging, die – so unsäglich von dem Herzenselend der Tochter niedergedrückt – in Sorge und Kummer sichtlich hinzuwelken begonnen hatte!
Es gibt keinen Menschen, den das Liebesglück einer reinen Jungfrau so ergreifen könnte wie die Mutter; denn die ist zwiefach ergriffen: ihre eigne, nun weit dahinten liegende Brautseligkeit flammt noch einmal auf, und dahinein schlägt das lodernde Feuer des Tochterglückes zu einer mächtigen Inbrunst.
„Gottes Will hat kein Warum“, hatte Frau Böhm zu ihrem Gemahl gesagt, als Meister Örtlein zur „Leberwäsche“ in das „obere Stübchen“ eingedrungen war. Der „Herrscheklas“ hatte ihr Hoffnung erweckt. Und als er nach Beendigung seines polterigen Geschäftes dem ratsherrlichen Ehepaar gegenüber ausgerufen hatte: „Gott sei Dank, daß er mir geheißen hat in meinem Herzen, nach Heldburg zu fahren! Es wird sich nun schon machen“, da war es der Frau Böhm, als wäre von ihrem Herzen eine schwere Last hinweggenommen.
Da sie sich erleichtert fühlte, und aus ihren Gliedern eine dumpfe Müdigkeit wich, begannen auf ihrer Gedankenwiese grüne Gräslein und Blumenknösplein zu sprießen. Und ihre Augen wurden klar und sahen auf einmal eine freundlichere Welt um sich herum.
Die Elsa Geßnerin war in der Kutsche abgefahren, und der Zacher auf seinem Bock hatte vergnügt die Peitsche geschwungen, und seine malitiösen Lippen hatte er nicht vor den Zähnen zusammenzubringen vermocht, der Schalk.
Als Meister Örtlein gravitätisch neben der schwebenden Ursel dahingeschritten war in der Richtung nach der Festung, hatte ihnen die gute Mutter in feierlicher Aufgeräumtheit nachgesehen, und es war ihr vorgekommen, als wären die beiden nach dem Berg gegangen, um den „Herbst“ auf eine Reife zu prüfen.
„Heut soll noch geernt't werden, so Gott will! Wie sie schmecken werden, die Beern? – Warm genung wars, ach gar arg warm. 'S hat mir manchmal der Erdboden unter den Füßen gebrannt, und auch der Kopf war mir manchmal gar arg sehr heiß. Ordentlich Weinwetter! – Wie hab ich doch geflennt, wenn ich allein war! – 'S war immer so: Uhne Led ka Fred! Wird denn auch die Fred kumma? Heit nuch? – Lieber Gott im Himmel, bist ja alleweil mit im Schiff!“
So redete die Frau Böhm vor sich hin, allein in ihrer Stube, von einem Fenster zum andern gehend. Und wenn die Tränen kamen, setzte sie sich auf die Ofenbank oder in den lederbeschlagnen Sessel.
Die Dämmerung brach an, und Frau Böhm begab sich in die Stallhalle und sah sich nach der Lise um. Die war schon mit dem Melken der Kühe beschäftigt. Als sie sich vom Schemel erhob und ihre „Frau“ bemerkte, sagte sie in vertraulichem Tone: „'S wird nu wuhl bal besser im Haus, Frau Böhmin. Ich spürs duch un ganzen Getu. Der dick Mann von Koburg is duch net öpper der Amtmann, oder amend gar der Generalsuperdent? Heit nacht wirds wuhl richtig gemacht uf der Festing?“
Darauf erwiderte Frau Böhm: „Kann dirs net sag, Lise. Der dick Mann von Koburg ist der Herr Meister Örtlein, bei dem einstmaln der Hauslehrer als lateinischer Schüler in Pfleg war. Darum, und weil er auch des Bötzingers Vetter is, geht ihm das Schicksal und Wesen des Hauslehrers sehr zu Herzen. Er kam heut von der Festing und war hernacher bei unserm Medla, und amend bringt er alles ins recht Geleit, walts Gott!“ –
Da seufzte die Lise, als gings ihr auch sehr zu Herzen, oder als hätte sie etwas Besondres darauf. Frau Böhm verstand den Seufzer aber in der andern Bedeutung und fragte: „Lise, dir fehlt wohl auch was? Es kommt mir schon länger vor, als obs mit euch net richtig wär, mit dir und dem Zacher.“
Die Lise fuhr sich mit der Schürze an das Gesicht und ging in die Scheune: „Muß mir Heu hol. 'S is doch jammerschad, daß sie uns selmal die Kälber gestohln habn.“
Die Frau Böhm aber begab sich in die Stube und sah zum Fenster hinaus und horchte, ob die Kutsche noch nicht käme. Dann zündete sie ein Licht an und bereitete den Tisch zum Abendessen.
Während sie zum Keller ging, einen Abendtrunk zu holen, fuhr Zacher zum Tor ein.
Kaum hatte Frau Böhm die Stube wieder betreten, als die Tochter unter dem „Fuder Heu“ hervorgesprungen kam und der Mutter schluchzend um den Hals fiel. Und die Mutter fing auch an zu schluchzen.
Zacher mußte, weil ein andrer Mensch nicht da war, in den sauern Apfel beißen und seinen „Haufen Gicht" selbst abladen. Und weil die Jungfer Ursel verschwunden war, und sich weder die Frau Böhm, noch die Lise sehen ließ, so mußte er sogar die Pferde „im Stich lassen,“ um der „Gnädigen von Gompertshausen“ in die Stube zu helfen. Auf der Treppe neigte er sich ein wenig nieder zur Elsa und murmelte: „Wie 'n Brautpärle!“ – Aber Elsa blieb stehen und sagte in ihrem tiefsten Ton: „Wirst nn net öpper an Antrag machn, du Mistfink?“
Mit einem kräftigen Ruck hatte der Zacher die „lahm Magd“ auf den Armen: „Dauert meinen Gäuln zu lang! So 'n Arm voll Gicht ist mir n Spaß!“ – Bei diesen Worten sprang er mit seiner Last ins Haus und stellte die erschrockne Elsa vor die Stubentür.
„'N Trinkgeld gibts bei der Gnädigen doch net!“, rief Zacher im Abgehen.
„Sötte Mistfinken, wie du aner bist, könn'n Wasser saufn!“
Um die Heiterkeit der Elsa Geßnerin war es aber geschehen, als sie in die Stube trat und Tochter und Mutter in Tränen fand.
„Ei, du liebstes Gottle! Flennt nur! Flennt nur! Aber nun hats ein End! Die Flennbrünnle sind alleweil leer! Nun hats ausgetröpfelt. Weiher! Meiner Seel! – Die Folter is zugeschlossn, und die Köpf und alles Inwendige is aufgeschlossn, daß die Sonn drein scheint. Frieden! Frieden! – Habts ghört? Der Frieden Gottes wendet sich zu uns. Die Sturmflut is vorbei, und wir brauchen uns net mehr auf die Brücken zu setzen. Nun singt und spielt in euern Herzen! Und im Hochzighimmel wirds rebellisch! – Du meine Güte!“
Mutter und Tochter setzten sich auf die Ofenbank, dicht neben einander, just als ob es Bedürfnis für sie wäre, einander leibhaftig zu spüren – zu spüren, daß zwischen ihnen nun die auseinanderhaltende Wucht der Seelenleiden dem zusammenflutenden Glück habe weichen müssen - zu spüren die leibhaftige Zweiheit, die im Ineinandersein aufzugehen drohte ohne Gebärde und Sprache.
Die Lindenelsa war in den Lehnsessel gesunken. Da stellten sich Zacher und Lise ein zum Abendessen, und die Lindenelsa erhob sich und sagte: „Die Frau Böhmin und die Jungfer Urschel wolln noch a bißla wart mit ihrm Essen. So will ich die Hausfrau am Tisch spiel.“
Da ließen die maliziösen Lippen des Zacher die Zähne wieder blitzen. Aber die drei ließen es sich gut schmecken.
Zur Nacht grüßend, entfernten sich nach der Mahlzeit Zacher und Lise, und die Lindenelsa holte ein Fußbänkchen und setzte sich zu den Füßen der beiden stillen Überglücklichen. Sie streichelte mit ihren krummen Gichthänden die im Schoß ruhenden Hände der Mutter und Tochter, und ihre Augen wurden groß und leuchteten, indem sie also anhub: „Nun gehörn wir erst recht ordentlich zusamm, der Martin, die Urschel, der Hans, die Rudelstädter, die Frau Böhmin mit dem Ratsherrn, der Herrscheklas und die Elsa Geßnerin – zsamm gehörn wir alleweil wie die Weiber am Heilandsgrab und die zwölf Apostel und vier Evangelisten; weiher! Wie die Engel im Himmel!“
Und noch vielerlei Wunderliches redete sie. Dann erfaßte sie die Hände der Frau Böhm und begann von dem Schleier zu erzählen, in den sich die Einbildungskraft des Hauslehrers verwickelt hatte, „daß ihn die Eifersucht beinah abgewürgt hätt“.
Aber die Elsa war mit ihrer bruchstückartigen Erzählung noch nicht weit gekommen, da trat der Vater Böhm, in dem von der Burg herunter die Spannung gewachsen war, mit einiger Hast in die Stube. Er war vor der Gruppe am Ofen stehen geblieben und stieß mit bebender Stimme hervor: „Sind die Gewitter heimgezogen? Habt ihr den Regenbogen gesehen? Ist der Hagelschwall in den
Rinnen und Wiesengräben geschmolzen? Kann man denn nun in Frieden und Ruhe wieder aufatmen und mit Mutter und Kind glücklich beisammen wohnen?“ – Die letzten Worte gingen beinahe unter in einem kleinen Nachsturm des Jammers.
Die Lindenelsa sprang auf und rief: „Gelte, Herr Centgraf, Er is auch a bisle mürb wurn? Nun is Er aber mein lieber, guter Ratsherr. Und setz Er sich da auf die Ofenbank neben seine Tochter und hör Er zu, wies war. Wenn ich was vergeß, kann mir die Jungfer Urschel einhelf.“
Der Herr Michael Böhm folgte der lahmen Magd, und nun begann der Vortrag der Gompertshäuser Großmacht noch einmal von vorn.
So aufmerksame Zuhörer wie das ratsherrliche Ehepaar mag es noch nie, weder vorher noch nachher gegeben haben – weder in der Kirche, noch im Parlament, noch beim westfälischen Friedensschluß oder bei dem Pfaffen Ameis.
In der Stallhalle erzählte Lise dem Zacher, daß die Frau Böhm alles wisse „mit ihnen“; „es sei net richtig mit uns, hat sie gesagt.“
Da prallte der Zacher von der Stallhallensäule, an der er lehnte, ab und fuhr auf die Lise ein: „'S is wohl richtig! Wir brauchen net so viel Begebenheiten zum Richtigmachen wie so 'n Hauslehrer mit seiner Urschel. Sel hat gute Weg!
Net so laut, dummer Zacher!“
„Solls wohl allemal der Frau und dem Herrn an die Nasn bind, wenn ich dir an Schmatz geb, he?“
Da lief die Lise davon mit: „Gute Nacht, Zacher! Daß Ruh wird!“
Als Ursulas Eltern in alle verhängnisvollen Irrungen des Pärleins eingeweiht waren, stärkte sich die Familie noch ein wenig am Tisch, und nach der gewohnten Abendandacht nahm jedwedes seine Zuflucht zur vertrauten Ruhestätte.
Es war schon nach Mitternacht, als es „im obern Stüble“ hinter Muskatblättlein und Rosmarin leise unter der Bettdecke hervorsang:
Hinterm Rosenbusch verborgen
Weinte still die arme Maid,
Weinte, bis die Sonn am Morgen
Stieg herauf im Strahlenkleid.
Und die Rose lachte.
Und das Mägdlein saß und weinte
Auch im lichten Sonnenschein ;
Obs auch gut Frau Sonne meinte:
Weinen thät das Mägdelein.
Und die Rose lachte.
Doch es schlug des Rösleins Stündlein ;
Denn der Knabe brachs behend,
Küßt die Maid beherzt aufs Mündlein,
Daß das Herz ihr schier entbrennt.
Und das Mägdlein lachte.
Mit dem frühsten Morgen kam das Wägelchen des Thorbecks den Festungsberg herab. Meister Örtlein unter dem Leinwandschirm quirlte mit dem spanischen Rohre zwischen den Beinen und spitzte den Mund dazu.
„Sophel, Sophel! Was kann ich dir für Geschichten erzähln, wenn ich heim komme – von Binden und Schinden, Mord und Totschlag, Verleugnung, Not und Elend! – Eine sakermentische Wirtschaft! – Aber ich hab aufgeräumt mit der lahmen Magd. – Das kleine Ding mit ihrer Gicht, he? Man sollts net mein!“
So ging es dem Herrscheklas durch den Kopf. Am „Böhmshaus“ in Heldburg ließ er halten.
Der Zacher hatte in der Stallhalle das Fuhrwerk vernommen und war an das Tor gelaufen.
„He, Zacher, ist deine Herrschaft auf?“, rief ihm Meister Örtlein zu.
„Net! Habn sich spät niedergelegt und schlafen alleweil noch.“
„Sag dein'n Leuten, daß ich net einkehrn könnt; müßt machen, daß ich nach Haus käm zu meiner Alten. Richt viel Grüß aus, sonderlich an die Jungfer Urschel, und sag ihr, der Örtlein von Koburg wär kein Bär net, und der Martin kein Ölgötz net! Adjes!“