Zweites Kapitel
Ursel
(1614)
Nicht weit von der Linie, die das Reformationsschwert durch Deutschland gezogen hat, liegt das protestantische Städtchen Heldburg, an der Kreck, deren Wasser durch die Rodach bald der von Koburg kommenden Itz zugeführt wird.
Das Städtchen hat in der Zeit des jungen Religionshasses manchem Neugläubigen aus dem Stiftsgebiet hinter seiner Mauer Zuflucht gewährt. Diese Mauer mit vierzehn Türmen ist im Jahre 1559 von dem Nürnberger Maurermeister Kaspar Bock erbaut worden und trägt hin und wieder das Zeichen eines Bockes im Wappen, zum Beispiel hinter dem „Superintendur-Stadel“ am Roßmarkt in dem Eckturm, an dem das fürstlich sächsische Wappen, der Bock und das Kleeblatt mit den Buchstaben: Ca. B. und M. E. in Stein gehauen prangen. „Dieser Nürnberger Maurermeister hat zu seinem guten Andenken viel Mauerwerk umsonst gemacht und zwischen beiden Städten, Nürnberg und Heldburg, diesen Freundschaftsvertrag gestiftet oder zuwege gebracht, daß, wer von einer zeucht, von Ab- und Anzug frei ist.“ Wieviel Vorteil aus diesem Vertrag für Heldburg erwachsen ist, ist nicht gesagt.
Die Mauer steht nicht mehr. Als sie noch stand als der dreißigjährige Krieg noch nicht mit seinem Feuerbesen über Deutschland gefahren war – Anno 1614 –, der Mai hatte seine Wonnen über das Land ausgeschüttet, und der oberste der fünf Hofnarren des Herzogs Johann Kasimir, Wolf Ferber, sang:
Wie denn ein jede Kreatur
Im Frühling ein contrafactur
Aller Fröhlichkeit ist und heißt,
Und jedes Gräslein sich erweist,
Als wollt es itzt vor Freuden springen,
Wann darzu gleichsam zu Tanze singen
Die Waldvöglein mit süßem Schall –
da trieb Ursel, das einzige Töchterlein des Bürgers und Ratsherrn Michael Böhm, ein Herdchen junger Gänse, die Alte an der Spitze, zum Tor hinaus zur Abendweide.
Ihr Großvater Hans Böhm „war mit zwölf lebendigen Kindern Gottes Worts wegen aus Seßlach gewichen“, als Bischof Julius Echter von Würzburg gegen die Neugläubigen wütete.
Auf dem Rasen an der Kreck draußen vor der Stadt machte die flachshaarige Ursel mit ihren Pflegebefohlnen Halt. Es schien, als grüne der Rasen frischer, wenn das kleine Schnatterkorps angezogen kam, und als strahlten die Gänseblümchen, mit denen der Rasen besät war, heller. Sie gehörten nun einmal zusammen: die Gänschen, die Blümchen und der Rasen. Und die Königin war Ursel mit ihren großen, blauen Augen.
Wenn auch die kleinen Gänsehirten sich alle einstellten, Eberts Lene, die Elfers Cordel, oder gar der Geigers Lurz, der doch volle zwei Jahre älter war: Ursel blieb Königin.
Sie kamen heute alle angezogen mit ihren wolligen Völkern. – Geigers Lurz und Wehners Klaus sahen nach ihrem kleinen Teich, den sie tags vorher angelegt hatten, und bevölkerten ihn mit schwarzen Froschlarven, die sie aus einer nahen Flachsröste fischten und in einem Scherben herbeischafften. Sie waren in großem Eifer, und als Lurz sagte: „Klaus, sagst den Jungen nicht, wo unser Fischteich ist! Wenn unsre Fische groß sind, wird gefischt.“ – Da machte Klaus vor Freude einen Luftsprung. – Die Eberts Lene. und die Elferts Cordel wälzten sich ausgelassen auf dem Rasen, und der tückische Bauers Kunz warf ihnen von Maulwurfshügeln eine Hand voll nach der andern ins Haar. Die Sauerweins Dorthe und Schäftleins Anna saßen auf dem Rasenrand am Acker bei der Ursel; und blühende Kornähren nickten auf sie herab.
Ursel sagte: „Ich weiß was Schöns; ach, wie freu im mich drauf!“ – Anna rief: „Sag mirs, Ursel – ich verrats net.“ Ursel zog die Augenbrauen in die Höhe, reckt den Kopf nach vorn und kramte ihr Geheimnis aus: „Auf der Festung sind nächten viel stolze Reiter angekommen, und der Herzog von Eisenach ist dabei – ah!“ – „Wenns weiter nix is“, sagte Dorthe, „das wußt ich lang“. Aber Ursel steckte noch mehr Wichtigkeit heraus: „Das magst du immer wissen; aber das Schönst weißt du doch net! – Morgen geht in Koburg das Schießen an!“ – Da lachten Dorthe und Anna und riefen: „Du Lieberle! – das wissen doch alle Leut!“ – „Aber was ich noch weiß, das weiß kein Mensch! Und das sag ich net.“
Nach einer kleinen Pause hustete Anna und sagte: „Ursel, ich hab noch nix verraten und die Dorthe auch net; kannsts immer sagen.“ – „Euch will ichs sagen“, flüsterte Ursel, „aber sagts den andern net. Morgen fährt mein Vater mit meinem Paten nach Koburg zum Schießen, und da nehmen sie mich mit. Ach, wie ich mich freu! Das wird schön!“ – Dieses Geheimnis wirkte nun freilich versteinernd auf die kleinen Freundinnen.
Als aus dem Kornfeld eine Lerche hellsingend emporstieg, und die jungen Gänschen einander anwieberten, als hätten sie sich auch merkwürdige Geschichten zu erzählen, stimmte Ursel das Gänseliedchen an.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur stille!
Starrn euch die Kröpfle,
Versteckt ihr die Köpfle.
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur ſtille!
Habt euer Futter
Und die Frau Mutter.
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur stille!
Liegt in der Sonnen
Neben dem Bronnen.
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur stille!
Werdet ihr größer,
Holt euch der Schösser.
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur stille!
Seid dumme Kinder –
Bald kommt der Winter:
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Wieberle, Wile,
Seid mir nur stille!
Schwarz ist die Hanne
Mit der Bratpfanne.
Wieberles-Wolle
Zupft uns Frau Holle.
Ursel, Dorthe und Anna hatten kaum angestimmt, als sich auch Cordel und Lene in etwas wüstem Aufzug hinzugesellten und mitsangen.
Kunz watete im Bach, um Krebse zu fangen; Klaus und Lurz hatten ihn von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen, weil er ihnen am Vormittag den Maikäferstall geöffnet hatte, daß alle Insassen sich aus dem Staube machen konnten.
Als das Gänseliedchen zu Ende war, sprang Dorthe auf und rief: „Einen Ringelreihn!“ – Die fünf Mädchen schlossen einen Kreis, und Dorthe begann:
In Burg Botenlauben
Da fliegen keine Tauben,
Gehn aus und ein
Drei Schwesterlein.
Halb schwarz zu schaun die eine,
Wohl kreideweiß die andern sind;
Hui! über Stock und Steine
Reiten sie mit dem Wind:
Wohl in den Krieg, wohl in die Schlacht,
Wohl in den Wald zur wilden Jagd.
Die Weißen sind den Kindern hold,
Die Schwarze scharrt nach rotem Gold.
In Burg Botenlauben
Da fliegen keine Tauben,
Gehn aus und ein
Drei Schwesterlein.
Mit wiegenden Köpfchen tanzten die Mädchen bei einförmigem Gesang ihr Liedchen ab; auf den Gesichtern prägte sich dabei eine gewisse Feierlichkeit aus.
Die beiden kleinen Fischer schienen ihr Geschäft beendigt zu haben; sie liefen herzu und sprengten den Kreis der tanzenden Mädchen. Lene rief: „Ihr Bubn, schert euch fort, wir brauchen euch net!“ – Cordel und Anna unterstützten die Sprecherin. Aber Ursel machte den Vorschlag, die Bubn mitspielen zu lassen, und fing an:
Altweibersommer flieg,
Flieg an den Baum, flieg an den Hut.
Mein Schatz, der ist im Krieg,
Ich spinn und bleib ihm gut.
Ein Mägdlein war gar faul,
Nicht spinnen mochte sie den Flachs,
Nicht streichen den Zwirnsknaul
Mit butterweihem Wachs.
Die Mutter zankte sehr,
Verwünschte in den Mond das Kind;
Nun kommt es nimmermehr,
Sitzt in dem Mond und spinnt.
Und was es spinnt, das fliegt
Wohl über Berg, wohl über Tal,
Wenn Flachs auf Wiesen liegt,
In Fäden ohne Zahl.
Altweibersommer flieg, .
Flieg an den Zaun, flieg an den Hut.
Mein Schatz, der ist im Krieg,
Ich spinn und bleib ihm gut.
Da sprang Lurz in die Mitte des Kreises und rief, in die Hände klatschend: „Halt, ich hab im vorigen Jahr in Ebern einen schönen Ringelreihn gelernt; den müßt ihr auch lernen.
Von Rotenfels am Maine
Ein Klosterherr nach Hause ging;
Ihm war so wohl vom Weine,
Daß mit dem Mond er Zank anfing.
Da drang zu ihm von Würzburg her
Gar lustger Hörnerklang;
Da zankt' der Klosterherr nicht mehr –
Ihm wurde angst und bang:
Hoch überm Strom ein Reiterheer
Von Jägern, Rittern, Pfaffen
Durchzog die Luft mit Spieß und Speer;
Es blitzten ihre Waffen.
Hussa, halli! Hussa, hallo!
Und in Karossen saßen froh
Der güldnen schönen Frauen viel,
Ergetzten sich am Jägerspiel.
Hussa, hallo! Hussa, halli!
So blasen und so singen sie –
So ziehn sie her vom Maine,
Die Bracken an der Leine.
Auch der neue Ringelreihn wurde nach der alten Weise gesungen. Die Studien der kleinen Gänsehirten wurden von dem sich nahenden Kunz unterbrochen, der sich an jedes Ohr einen Krebs gehängt hatte. Unter schallendem Gelächter löste sich der Kreis auf, und alle umstanden vergnügt Kunz; die Mädchen konnten sich über die neue Art von Ohrgehängen gar nicht beruhigen; sie schüttelten den Kunz, bis die Scherenmänner abfielen. Lurz hieß den Kunz sich packen und forderte zur Fortsetzung des neuen Ringelreihens auf. Aber Ursel entgegnete: „Der Kunz muß auch mitspielen; komm, Kunz!“
Der Kreis hatte sich wieder geschlossen, und Kunz rief: „Einmal das vom Säufritz!“ Und alle stimmten kräftig ein:
Der Säufritz tät sich baden
Im Lingwurmwasser alle Tag,
Daß ihm nit kunnte schaden
Des Speeres Wurf, der Keule Schlag.
So zog er aus mit Lachen
Gen Ritter und gen Drachen.
Säufritz der Schätze viel gewann,
Viel Gold und Edelsteine,
Und hub die Burg zu bauen an
Und einen Damm von Steine;
Der Helgrabn breit und tief
Rings um die Burg her lief.
Das ist die Seifridsburg von Stein
In Franken bei Gemünden.
Der Säufritz hüt't nit mehr die Schwein:
Er beichtet seine Sünden.
Während der Worte „Er beichtet seine Sünden“ löste sich der Kreis, und alle drehten sich um und verneigten sich nach außen. Bei dieser Wendung streiften die Augen des Klaus den Burgberg. Alle machten ihre Wendung zum Kreisschluß, um von vorn zu beginnen, aber Klaus blieb stehen und zeigte nach einem Reiter, der dem Städtchen zugaloppierte: „Paßt auf, bald kommt er gesprengt!“ – „Wer denn?“, riefen etliche Mädchen. – „Ein wilder Reiter!“ – Alle sahen gespannt nach der Straße. Da wurde Hufschlag hörbar. – „Hussa, halli! Hussa, hallo!“, schrien die Knaben. Plötzlich verließ der Reiter die Straße und flog über den Rasen daher, zwischen den jungen Martinsvögeln dahin, mit ungeheuerm Satz über eine Flachsröſte, weiter quer durchs Feld und wieder auf die Straße.
Der Rasenfrieden war gebrochen.
Alles war vor Schreck auseinander gefahren; aber Lurz hob einen achweren Stein auf, lief dem Reiter bis an den Bach nach und warf den Stein in der Richtung, die der Reiter einhielt. Aber ein Pfeil hätte ja das flüchtige Ziel nicht eingeholt. Lurz hatte das Unglück bemerkt, das der wilde Reiter auf dem Rasen angerichtet hatte, und Entrüstung hatte ihn zu der ohnmächtigen Rachetat getrieben.
Von Ursels Wieberlen lag eins tot auf der Reiterspur. Jede Mutter reckte begütigend ihren langen Hals jedem einzelnen ihrer Kinderchen schnatternd zu, und jedes Völkchen wieberte seine Alte redselig an. Das zersprengte Kinderhäufchen sammelte sich um Lurz und fing an zu klagen, als er ihnen die kleine Leiche entgegenhielt.
„Ursel, es ist eins von dir“, sagte wehmütig Lurz. Ursel lief zu ihrer kleinen Herde und zählte: „neun, zehn, elf“ – dann fing sie laut an zu jammern, nahm dem Lurz ihr totes Wieberle ab, faßte es in die Schürze und machte sich weinend mit ihrer geschädigten Herde auf den Heimweg. Ein Zug nach dem andern folgte traurig nah. Kunz sagte zur Elfers-Cordel: „Ich bin nur froh, daß es von mir keins ist.“
Etwa eine halbe Stunde unterhalb Heldburg führte die Straße nach Koburg durch ein kleines Wäldchen. Da hielt auf dem Kreuzweg im Schatten einer uralten Eiche ein Karren; der zu ihm gehörige Gaul weidete auf einer Blöße, und an dem Karren stand ein junges Mädchen, dem eine auf dem Gefährt sitzende Frauengestalt mit der Hand über den Kopf strich. Darauf stach das Mädchen unter der Eiche zwischen zwei aus der Erde hervorragenden starken Wurzeln einen runden Rasen aus, verbarg in dem Loch ein kleines Leinwandbeutelchen, deckte den Rasen wieder darauf und begab sich schweigend zu der Karreninsassin, die mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht des Mädchens ein Kreuz schlug und mit schmeichelnder Stimme sagte: „So mei Töchterle! – Nun hast du Ruh, mei Töchterle!“ – Plötzlich warf das weidende Pferd den Kopf in die Höh; nahende Hufschläge meldeten den mutwilligen Reiter an, der bei Heldburg den Rasenfrieden gebrochen hatte. – Geh nach Haus, mei Töchterle! Nun hast du Ruh, mei Töchterle!“
Das Mädchen war kaum im Gebüsch verschwunden, da kam der Reiter angesaust. Vor dem Karren warf er sein Pferd zurück. „Ei, sieh da! Die Lindenelsa! – Kennst du mich noch?“
Das Weib sah den Reiter pfiffig an und sagte: „Wie soll ich Euch großen Herrn kennen?“ Sie lachte verschmitzt, fuhr mit der Hand unter der Nase hin, machte kleine Augen und flüsterte: „Wer die Sambel und ihrn Hans nur einmal gesehen hätt, müßt den Hans noch kennen, und wenn er ein Marschall geworden wär.“
„Ein Marschall bin ich noch nicht; aber der Herr, dessen Leibknecht ich bin, hat einen Marschall.“
„Ei hast du einen großen Herrn zum Herrn!“, sagte die Lindenelsa und machte große Augen.
„Aus dem Grün und Gelb meiner Livrei müßtest du eigentlich meinen Herrn herausfinden, Els!“
Da machte die Lindenelsa noch größere Augen und sagte in singendem Tone: „Ah! der Schneidershans Leibknecht des Herzogs Johann Ernst! – Ei, du meine Güte! Grün und gelb der Schneidershans! Ein Sappermenter, der Hans!“
Der Rappe des Leibknechts Hans war zu unruhig, als daß das Gespräch hätte weiter geführt werden können, und doch hätte Hans gern noch ein Viertelstündchen mit der seltsamen Karreninsassin geplaudert. Er stieg ab, band sein Pferd an einen Baum und flog an den Karren.
„Ja, Els! – Aber ich will noch ein Marschall werden, – nicht ein Hofmarschall – ein Feldmarschall!“
„Nicht zu hastig, mein Hänsel! – Freilich, freilich! Was zum Haken werden will, krümmt sich beizeiten. Und ist die Nessel noch so klein: sie brennt schon!“
„Ists mit deiner Gicht immer noch schlimm, Els?“
„Ach, ach! – Du meine Güte! Ich werd das fahrend Ding net los, Hans! – Aber wenn meine Gicht net wär, Hänsel, wärs nix mit dem Marschall! Net einmal der Leibknecht stünd vor mir!“
„Wie meinst dus, Els?“
„Ei, seht mir die Jugend! Will Marschalls spieln und weiß net, daß das Lebn dazu ghört! Hans, dein Gemerks ist kein Marschallsgemerks!“
„Els, ich weiß! Ich weiß jetzt, wie dus meinst.“
„Freilich! Freilich! – Wenn ich die Gicht net hätt gehabt vor fünf Jahrn: im Gauerswald lägen deine Knochen itzt zerstreut, blank und weiß wie Elfenbein, Hans – die kleinen Marschallsknöchle! Und die Füchs rührten sie net mehr an. Hihihi!“
Hans ließ den Kopf hängen; der Ausdruck großen Schmerzes lag auf seinem Antlitz. Das Weib aber wurde sehr ernst und fuhr fort: „Ja, Hans, ich muß dein Gemerks anfrischen. Du darfst deine Mutter net vergessen und auch net, was die Lindenelsa an dir getan hat. Fünf Jährle sind net lang für einen, der die Gicht net hat. – Sie habn sie verbrannt, und wir beide wissen, daß sie unschuldig war. – Und du warst über den Berg gerast und lagst am Weg im Gauerswald, und der Fieberfrost hätt dich abgetan, hätt ich dich net auf meinen Karrn genommen. Und ich hatt in meinem Kasten was für dich, das geholfen hat. Und zu Haus bei mir hat dirs hernach auch gefalln. Wie lang hast du bei der Lindenelsa kampiert? – Hast du ein Marschallsgemerks, Hans,so sag: vier Wochen! – Fünf Jährle is net lang für einen, der die Gicht net hat.“
Hans seufzte tief auf und reichte mit beiden Händen nach dem Kopf des Weibes. – Sie ließ sich sein Streicheln gefallen.
„'S ist gut, Hans“, sagte sie im Tone mütterlichen Wohlwollens, „werd nur ein Marschall. – Wie bist du zum Herzog gekommen? Denk immer, du hütst noch die Schaf im Maingrund bei den Bischöflichen.“
Hans erzählte: „Als ich im Herbst auf der Stoppel hütete, kam ein Roßkamm. angetrieben mit prächtiger Ware. Ich ließ meine Schafe und eilte nach der Straße, die schönen Tiere zu bewundern. Der Roßkamm ließ seine Pferde, weil er die Gelegenheit günstig sah, ein Stündchen weiden. Da merkte ich, daß ein schönes Fohlen lahmte, und fragte, was ihm fehle. – Als ich hörte, es habe sich einen Glassplitter eingetreten, machte ich den Vorschlag, den Splitter doch gleich herauszunehmen. Aber der Roßkamm war der Meinung, das könne erst beim nächsten Hufschmied geschehen. Ich hatte aber das Gläslein, das du mir gegeben, bei mir und zeigte es ihm. „Die Tropfen sind gut“, sagte ich, „wenn ihr dem armen Tier den Splitter auszieht, bestreich ich die Wunde damit, und in drei Tagen sollt ihr nichts mehr merken.“ Der Roßkamm war freilich in Sorge, es möchte nur schlimmer werden, wenn das Fohlen noch zwei Stunden laufen müsse; er rief seine Treiber herzu, ließ das Fohlen an einen Birnbaum binden und begann den Fuß zu untersuchen. Die Knechte hielten zugleich den übers Kreuz stehenden Fuß in die Höhe. Ich war mit meinem scharfen Einschlagmesserchen ungeheißen bei der Hand – der Roßkamm ließ mich gewähren –, und ehe er sichs versah, hatte ich den Splitter heraus und einige Tropfen in die Wunde geträufelt. – Da schlug mich der Roßkamm mit seiner großen Hand auf die Schulter und rief: „Schwerenöter, so einer! – Junge, du mußt mit mir gehen; ich kann dich besser brauchen als der Schäfer. Über acht Tage um die Zeit komm ich zurück, hiervorbei, du bist auf dem Platz und ziehst mit mir!“ – „Es gilt!“, rief ich und schlug ein. Ich sagts dem Schäfer, als ich nach Haus kam, und der wars zufrieden. So kam ich zum Roßkamm.“
Die Lindenelsa machte wieder kleine Augen und legte den Finger an die Nase: „Gelte? Meine guten Tropfen haben dir gut getan und dem Gäule, und was ein Haken werden will – und eine Nessel – hihihi! Werd nur ein Marschall, Hans! – Aber der Roßkamm war net der Herzog Johann Ernst.“
„Aber der Roßkamm hat in Ansehen gestanden bei ihm und hat ihm manches prächtige Tier besorgt. – Ich war noch gar nit lang um Pferde herum, hatte ich das Reiten schon tüchtig gelernt. – Einmal handelte mein Herr um ein böses Pferd; es warf jeden ab. Aber ich sagte zu meinem Herrn: „Laßt mich einmal den Fuchs reiten!“ Er lachte mich aus, ließ mich aber meine Probe machen. Els! Das war ein Fuchs, wie du noch keinen gesehen hast. Als ich mich an ihn machte, schimmerte aus seinen Augen das Weiß. – Ich hatte mir aus Runkeln mit etwas Austerleswurz, Ernrosen, Ibisch und Magsamen einen dicken Saft gekocht, und den führte ich in einer Büchsen immer bei mir. Mein Herr nit und kein Mensch wußte davon; aber damit hab ich mir jedwedes Pferd untertänig gemacht. Heimlich hatte ich schon den Finger mit dem Saft bestrichen, ging an den bösen Kerl, streichelte ihn, sagte ihm etwas ins Ohr, fuhr ihm mit dem süßen Finger zwischen der Lippe und den Zähnen durch, sprang auf und – heidi! Gings davon. Ich saß auf meinem Fuchs wie angewachsen. – Von Stund an galt ich als Pferdebändiger. Vor einem halben Jahr kamen wir mit einem prächtigen Viergespann von Milchschimmeln nach Eisenach. Der Herzog kaufte sie uns ab und klagte meinem Herrn, daß er einen vierjährigen Rappen habe, der niemand aufsitzen lasse. Da stellte der Roßkamm seinen Pferdebändiger vor. Der Rappe ward vorgeführt, ich wandte mein Mittelchen an, saß auf und ritt davon wie ein Alb. – Als ich wieder zurückkam, sagte mein Herr: „Hans, ich tus nicht gern; aber Seine Durchlaucht will dich haben – ich will mir das Geschäft nicht verderben – in Gottes Namen! Bleib in Eisenach beim Herzog.“ – Nun weißt dus vom Grün und Gelb, Els!“
„Aber nun aag mir, Hans, wo du alleweil rumreitst? Du kamst vorhin daher wie der wilde Jäger. Hast doch net heut noch den Marschall einholn wolln? Hihihi!“
„Beinah, Els! Meiner Fürstlichen Gnaden Marschall, den Herrn von Stein, hat heut nachmittag ein schlimmer Anfall getroffen, also, daß der Herzog in Sorge ist, und der Leibarzt schleunigst einen Reiter in die Apotheke nach Koburg verordnete. Gählichen muß ich nun reiten, daß ichs einhole, was versäumt ist.“
„Was wirds denn sein?“ „Verschlag im Darm!“ – „Erſt spann mir meinen Fritz ein, Hans!“
Der Leibknecht trieb den Gaul an den Karrn, und während des Einspannens fragte die Lindenelsa: „Der Herzog liegt wohl auf der Burg heften? Wenn die Christine noch obn wär, wär er gewiß net da.“
„Wir beziehen morgen das Stahlbügelschießen in Koburg und sind seit gestern abend auf der Feſting angekommen, wo wir noch mehrere Edle aus der Umgegend erwarten, die zu meines Herrn Gefolge gehören. Els das werden lustige Tage in Koburg. – Aber ich muß trauern. – Wenn die Mupperger da sind, passiert was, Els!“
Hans war fertig mit dem Einschirren des Gauls und reichte dem Weib die Hand zum Abschied.
Als er sich auf seinen Rappen schwang, rief die Lindenelsa ihm zu: „Laß die Bötzinger ungeschorn! – Werd nur ein Marschall, Hans! – Geht dirs einmal krumm, kommst zur Lindenelsa!“