Zwölftes Kapitel
Der ists
Nach dem Essen trommelte der Ratsherr Valtin Hübner an den kleinen runden Scheiben seines Fensters und pfiff seine Trompetenstücklein; und sein Nachbar, der Schneider, sagte: „Wärs geraten die Nacht, pfiff er net. Aber es gerät nit allewege, Herr Graf! Und das will ich mir hinter die Ohrn schreibn: Es seind net alle Köche, die lange Messer tragn.“
Michael Böhm aber und seine Tochter und Herr Cremer, der Schreiber von der Heldburg, saßen in Trappstadt im Rößle bei einem Krug kühlen Bieres und erquickten sich; denn auf dem Wege von Römhild her hatte ihnen die Sonne im Gesicht gelegen und den Mund ausgetrocknet.
„Gelobt sei Jesus Christ!“ Mit diesen Worten polterte schwerzüngig ein Mönch zur Tür herein und setzte sich ohne weiteres an die Seite der Jungfer Ursel. Und als Ursel etwas von ihm abrückte, grinste sie das speckglänzige Mönchsgesicht, das einige blutrünstige Stellen hatte, an wie eine alte Bekannte. „Ah, schön Jüngferle! Rarität! Wonaus des Lands?“
„Nach Heldburg, Alter!“, antwortete Herr Böhm.
„Komm daher. Auf Eurer Festing sind die Knecht und Mägd Kinder Sodoms. Habn einen Mann Gottes mißhandelt; habn mich gestäupt und geschunden als einen Paulus unter den Heiden. Aber der Herr hat sie geschlagen und hat hinweggenommen, was die Kinder Sodoms erfreut.“
Der Heldburger Schreiber aber sagte: „Es ist Pfingsten, und mich dünkt, Er wär voll süßen Weins.“
„Süßen Weins? Gibts nit in Franken. Wirt, eine Kanne Leistner!“
Aber der Wirt schüttelte mit sauerm Lächeln das Haupt und bedeutete den Mönch: „Pater Willius, bezahlt erst Eure Zeche von vornächten!“
„Jesus Maria! Seid Ihr ein ängstlicher Mann. Sind wir nit eins geworden, daß alles bezahlt wird, wenn Ihr nach Würzburg kommt? Sollt Ihr nit ein Faß Leistner aus dem Kloster bekommen? Ihr merkt nit lang. Holt nur ne Kanne – mehr wie eine müßt Ihr heut noch holn. Geb Euch nen Brief; den zeigt Ihr vor im Kloster, und Ihr macht ein gut Geschäft.“
Der Wirt holte Papier, Feder und Tinte, und Pater Willius verbriefte mit seinem würdigen Namenszug den Vertrag. Als der Mönch sich das goldne Naß aus der Kanne, die der Wirt darauf brachte, in den Becher goß, nahmen sich die blauen Flecken in seinem Gesicht aus wie ein paar Wölklein am lachenden Abendhimmel, oder wie das Besenreisig im Vollmond, Zärtlich rückte der weinselige Unflat der Jungfer Ursel wieder näher. Aber das wandernde Kleeblatt erhob sich, um den Staub von den Füßen zu schütteln.
Der Wirt begleitete die Scheidenden bis an die Haustür und erzählte, daß auf der Feste in der Nacht vom ersten auf den zweiten Feiertag die Spitzbuben Vorratskammer und Keller ausgeräumt hätten, und daß in der verwichnen Nacht auch in Trappstadt bei einem Bürger Einbruch geschehen und der Erlös von ein Paar Pferden gestohlen worden sei.
Der Schreiber tat einen herzhaften Fluch, der Ratsherr stemmte die Arme in die Seiten und staunte, und seine Tochter flüsterte: „Wenn nur daheim nix passiert ist; ich mußte in voriger Nacht weinen, als ich an die Mutter dacht.
Der Weg von Trappstadt nach Gompertshausen wurde den Heimkehrenden kurz. Das Abenteuer in Römhild am zweiten Pfingstfeiertag, die Einbrüche auf der Feste und in Trappstadt, der Pater Willius mit den blauen Flecken im Gesicht und seine Affaire mit den „Kindern Sodoms“ gaben Veranlassung zu ernsten Betrachtungen und derben Scherzen. Man war neugierig, was das für eine Mönchsstaupe auf der Festung gewesen sei, und ob sie vielleicht gar mit dem Einbruch in Zusammenhang stehe. Man kam auch auf die vom Heldburger Bürgermeister beantragte Streife, und der Herr Böhm war der Meinung, daß man die Geistlichkeit zu Hilfe nehmen müsse zur Entkräftung der schwarzen Kunst. Dem pflichtete auch der Schreiber bei.
In Gompertshausen angekommen begaben sich die Männer ins Wirtshaus, während Jungfer Ursel die Lindenelsa aufsuchte. Beim Eintritt der stattlichen Jungfrau erhob sich die Lindenelsa stöhnend von ihrem Lager: „Willkumm! Setz Sie sich rauf an den Tisch! Hab heut meinen schlimmen Tag. Was mich der Allmächtige schon gepanzerfeget hat mit dem fahrenden Ding! Was bringt Sie mir denn?“
Ursel brachte ihr Anliegen vor. Die Lindenelsa fragte: „Wer ist denn Ihre Mutter?“ Ursel gab Bescheid, und Elsa nickte freundlich: „Gott bhüt Sie! Ne Staatsjungfer! Freilich! Hätt die Böhms-Urschel gleich kennen solln. Ei, du Herrjele! Das macht der Feiertagsstaat. Wer zur Elsa Geßnerin geht, putzt sich net.“
Ursel erklärte entschuldigend, daß sie zu den Feiertagen in Römhild auf Besuch gewesen wäre.
„Freilich! Ein ehrbar Jüngferle! Laß mirs gfalln; macht die gotteslästerliche neue Mode net mit, die Stärk und die Blöchlesschuh. Hat ne brave Mutter. Die Frau Böhmin hat der Lindenelsa schon viel Guts erwiesen. Was fehlt denn Eurer Sau? Frißt net. Freilich! Die groß Hitz ist schuld. Kriegt die Bräun, wenn net gholfen wird. Jungfer Urschel, ich freu mich gar arg, daß Ihre Mutter an mich gedacht hat. Hätt net gedacht, daß der Frau Böhmin ihr Töchterle so ne Staatsjungfer wär!“
Ursel wurde rot im Gesicht und fragte: „Soll ich Euch den Schemel unter die Füße rücken?“
„O, du Herrjele! Freilich! Bravs Jüngferle! So, sola! Hat denn die Jungfer Böhmin schon nen Schatz, he! Ei, ich verrat nix!“
Ursel beteuerte sehr ernsthaft: „Mich mag niemand.“
„Hihihi! Freilich, freilich! Die Heldburger Krautsäck wissen recht gut, daß die Urschel was Bessers ist. Auf der Festing gibts was, Urschel! Wie lang wirds dauern, ist er Pfarrer. Frau Pfarrern, und hernach Frau Superdent! Das wär net bitter. Hab ihn schon gekannt, wie er noch auf der Schul war in Koburg.“
In Ursula schoß es wieder heiß zwischen Kopf und Herz auf und nieder; sie wagte nicht das Auge zu erheben und begann in ihrer Verlegenheit, um die Redseligkeit der Lindenelsa einem andern Gegenstand zuzulenken: „Auf dem Straufhain solls spuken. Da soll ein Hexenmeister mit seiner Bande liegen.“
„Glaub Sie doch so was net, Urschel! Der auf dem Straufhain will ein Marschall werden. Wie er zwölf Jahr war, habn sie ihm die Mutter verbrannt, unschuldig, unschuldig! Ei, du Allwaltender! Ganz unschuldig! Und den armen Bubn wolltn sie selmal fangen und mit verbrennen. Da ist er in die Welt nein gelaufen und lag im Fieber im Gauerswald. Er wär umkommen, hätt ich ihn net gefunden. Ich hab ihn auf meinen Karrn geladn und gerettet. Er wär heut noch am Hof, hätt er die Bötzinger ungeschorn gelassen.“
„Wißt Ihr die böse Tat auch? Auf dem Stahlbogenschießen in Koburg wars; ich habs mit angesehn.“
„Ei, du liebstes Gottle! Jungfer Urschel, Sie hats angesehn? War selmal noch ein Kind, hats noch net verstan. Hats kein Mensch verstan, als der Martin! Und der sagts auch, der jetzt da obn auf der Festing, der sagts auch, daß des Hansen Mutter unschuldig war. Und ihr unschuldigs Söhnlein hätten sie auch verbrannt, wenn es net ausgerisen wär. Und wie er größer war, hat der Fluch und die Rache gewüt't in ihm. O, du armer Hans! Aber er ist net mehr so wild. Ach, Urschel, 's weiß kein Mensch, wies in dem aussieht! Habs vor zehn Jahrn zu ihm gesagt: Hans, wenns fehlt, gehst du zur Lindenelsa! Ach, du liebstes Gottle! Die vorig Wochn pochts in der Mitternacht da am Fenster vor meim Bett. Da kriech ich halt mit meiner Gicht raus und horch – wars mein Hans. Aber 's war gleich, als wär meine Gicht weg geblasen gewesen. Herrjele! Wie flink hab ich aufgemacht. Und er hat mir erzählt, weil er sich vor den ehrlichen Leuten fürchten müßt, wär er unter die unehrlichen gegangen; aber Blut dürft net fließen, das litt er net. Nun will er fort, will Soldat werdn, will berühmt werdn, ein Feldmarschall! Hätt sich nach der Heimat gesehnt und nach der Mutter, die sie ihm verbrannt habn, unschuldig, Urschel, ganz unschuldig. Hat die ganz Welt verflucht. Und nachher hat er da vor meinem Bett geflennt. – Ach, Urschel, Urschel, wie tut mir der Hans leid! Aber er will keine acht Tag mehr unter den Spitzbubn bleibn, und eh er fortmacht, will er mich noch einmal besüch, der gut Hans!“
Die Lindenelsa erzählte das alles weinend. Des ehrbaren Ratsherrn Michael Böhms Tochter ward ergriffen. Es entstand eine längere Pause, während der die Lindenelsa ihren Tränen freien Lauf ließ. Als sie wieder ruhig geworden war, gedachte Ursel der Sache, die sie ins Haus geführt hatte.
Die Lindenelsa fuhr sich mit ihrer krummgezognen Gichthand über die Stirn und ordnete an: „Macht Eierschaln dürr und stoßt sie klar; das gebt Ihr Eurer Sau ins Fressen. Macht den Stall schön rein und räuchert ihn aus mit Wacholderbeern.
Das Stroh zum Streun muß auf dem Backofen gelegen habn. Und von einem alten Schwalbennest nehmt Ihr drei Bröckle, machts klar und tut drei Pfötle Salz dran. Dies Pulver tut Ihr in Milch von einer frischgekalbten Kuh und gebts der Sau ein und sprecht dazu: „In Gottes Namen. Amen!“ 'S muß aber alles stillschweigend geschehn vor Sonnenaufgang.
Ursel legte ein Geldstück auf den Tisch und verabschiedete sich von der Lindenelsa, und diese bedankte sich für den Besuch und rief: „Jungfer Urschel, seh Sie sich einmal um nach dem neuen Herrn auf der Festing! Er wird Ihr gefalln!“
In der verräucherten Stube der Lindenelsa war es der Jungfer Ursel zuletzt unheimlich geworden. Da vor dem Bett der Leidenden hatte der „wilde Reiter“ gesessen und die ganze Welt verflucht und dann geweint – der Sohn einer Verbrannten. Und die Lindenelsa hat den Hans gelobt und um ihn geweint, und sie hat auch den auf der Feste gelobt! Ursel wurde irr an der Lindenelsa und irr am „wilden Reiter“ und irr an sich selbst.
Zwischen Gompertshausen und Gellershausen sagte der Schreiber zum Ratsherrn: „Daherwärts hats die Nacht gewittert; der Weg ist ja ganz ausgewaschen.“
„Habs so gern“, sagte Michael Böhm, „nachts ein gnädig Gewitter, und am Tag die liebe Sonn.“
„Wie hat Ihm denn nächten des Superdenten Predigt gefalln, Herr Böhm?“
„Recht gut; hör aber unsern doch lieber.“
„In Heldburg hat nächten unser Herr Hauslehrer gepredigt. Hätt ihn gern gehört; soll ne gewaltige Ausred habn.“
„Was Er sagt! Ei der Tausend! Hätt ihn auch gern gehört; möcht ihn gar zu gern kennen lernen einer alten Geſchichte wegen; möcht ihn einmal sprechen.“
„Nichts leichter! Der Herr Bötzinger hat mir versprochen, mir heut bis Gellershausen entgegen zu gehen. Er wird schon da sein. Da könnt Ihr ihn gleich kennen lernen.“
„Nit möglich! Wie abgekart't! Hätt so ne Freud auf unsrer Pfingstreis net mehr erwart't.“
Die Rede des Schreibers fiel wie flüssiges Gluterz in das Herz der Jungfer Ursel. In ihrer Überraschung wich sie vom Weg ab und pflückte eine Blume, und als ihr Vater sich nach ihr umwandte und rief: „Urschel, in Gellershausen müssen wir schon wieder einkehrn; es will uns ein Licht aufgehn!“, da hatte sie die Blume zwischen den Fingern schon zerdrückt vor Erregung. Nun war es just umgekehrt wie beim Ausmarsch am Morgen des Pfingstheiligabends: des Ratsherrn Füße wurden immer leichter und eiliger, aber Ursel blieb zurück. Es war ihr, als sollte im Wirtshaus zu Gellershausen über ihr Leben entschieden werden, und als würde jede Sekunde, um die sie den Anblick des „neuen Herrn auf der Festing“ verzögern könnte, zu einer wohltuenden Errungenschaft.
Auf der Wirtshaustreppe in Gellershausen sahen sich die Männer nach ihr um; aber sie rief ihnen zu: „Geht nur hinein; ich komme gleich!“
Sie kam aber nicht gleich, sondern setzte sich auf eine Bank unter der Linde vor dem Wirtshaus. Drinnen saßen zwar verschiedne Gäste, aber nicht der Herr Martin Bötzinger. Da sagte der Ratsherr, gute Miene zum bösen Spiel machend: „Herr Cremer, Er hat wohl noch großen Durst gehabt und um des Einkehrens willen mir einen Ring an die Nasen gehängt?“
„I, da soll mich Gott bewahrn, Herr Böhm! Wenn nicht Abhaltung dazwischen getreten ist, kommt er noch.“
Und eben bog er mit seinem Freund Jörg Eisentraut um die Gartenecke.
„Der ists!“, schrie das bebende Herz des Mädchens auf. Ursel bückte sich, als hätte sie eine entfallne Nadel zu suchen. Aber Jörg Eisentraut stand schon vor ihr und fragte: „Was habt Ihr verloren, Jungfer? Ich wills Euch suchen.“
„Nix!“, antwortete Ursel und erhob sich. Aber der Herr Theologus war neugierig und fragte weiter: „Ihr seid doch kein Gellershäuser Kind? Wo wollt Ihr hin?“
„Nach Heldburg!“
„Es ist nicht geheuer hierherum in den Wäldern; ich und mein Freund werden Euch das Geleit geben. Setzt Euch noch einen Augenblick nieder!“
Jörg Eisentraut folgte seinem Freund ins Wirtshaus nach und hörte nicht die Versicherung des Mädchens, daß es schon Geleit habe.
„Jener ists! Und der da wird der Hauslehrer sein!“, flüsterte Ursel, als sie allein war.
Drinnen in der Wirtsstube aber war ein fröhliches Begrüßen. Nachdem die Personalia erörtert waren, machte Eisentraut den Vorschlag, sich zusammen unter die Linde zu setzen, da der Abend so wonnig sei. Sein Vorschlag kam sofort zur Ausführung. Ursel, die Herrn Martin Bötzinger gegenüber zu sitzen kam, vermeinte, ein gähnender Abgrund tue sich vor ihr auf.
„Nun, Herr Böhm! Wie ist die alte Geschichte, wegen solcher Ihr habt Verlangen getragen, unsern ehrenfesten Theologus Bötzinger kennen zu lernen?“
„Man wolle mich net ansehen, als ob ich des Gehörigen unverständig wär, sintemal ich meine Tochter frag, ob sie den Herrn Martin Bötzinger, so ihr gegenüber sitzet, wohl einmal als Kind gesehen habe?“
Die wohlgesetzte Rede des ernst gewordnen Michael Böhm verfehlte nicht, die sechs Augen der übrigen Herren in großer Spannung auf die Jungfer Ursel zu lenken, die es zwar nicht sah, weil sie mit niedergeschlagnen Augen da saß, aber es in ihrem Herzen brennend fühlte, sodaß ihr Gesicht glühte.
Endlich, nach einer kleinen Pause, bekannte Ursel mit bebender Stimme: „Das ist der Herr, der mich vor zehn Jahren in Koburg auf dem Stahlbogenschießen im Tumult aufgehoben und gerettet hat, und dem ich vor acht Jahren gezeigt hab, wo der Bürgermeister Tobias Wehner wohnt.“
Martin Bötzinger biß die Zähne aufeinander und fuhr dann mit der Hand über die Stirn hin; denn es war ihm, als wäre diese von dem Flügel einer Fledermaus gestreift worden. Jörg Eisentraut rief: „Also an unsrer einstigen Führerin in der Reichsstadt Heldburg warst du zwei Jahre vorher zum Retter und Ritter in Lebensnot geworden? Junge, du birgst Berge von Geheimnissen in dir!“
Aber der Ratsherr Michael Böhm erhob sich, drückte dem Herrn Bötzinger gerührt die Hand und sagte: „Liebwerter Herr, so einen Pfingstdienstag hab ich noch net erlebt. Kann nun endlich meinen großen Dank anbringen, was ich in Koburg selmal, wo wir Ihn überall vergeblich gesucht haben, net konnte. Aber ich muß Ihm noch ein Geheimnis sagen, Herr Bötzinger! Ich kanns net übers Herz bringn – ach, ich bin über die Maßen glücklich, daß Ihn der Herrgott uns endlich einmal in den Weg geführt hat, und da kann ichs net verschweign, mein, es wär sonst ne Sünd – muß Ihm nur sagn, daß ich und mein Gevatter, der Pate von meiner Urschel da, eine halbe Stund darnach, da Er mein Kind gerettet, Seinen Vater aus dem Stadtgrabn gezogen habn, wo er elend umgekommen wär, hättn wirs net gesehn, was meuchlings an ihm verübt worden war.
Bötzinger sprang auf und rief: „Herr des Himmels und der Erde!“ Dann sank er wieder nieder auf seinen Stuhl. Aber der Stuhl begann zu schwanken; Gellershausen begann sich langsam um ihn zu drehen.
Da rief Jörg Eisentraut: „Das sind ja Schickungen Gottes, daß man eine Gänhaut kriegt!“ Und der Schreiber war aufgefahren, stemmte beide Arme auf den Tisch und bog sich hinüber und starrte den Ratsheren an als ein Weltwunder.
„So ists, Herr Cremer“, rief dieser, „so führt uns der Herrgott am Ohr, und wir bleibn doch Esel!“
Martin Bötzinger erhob sich wieder und schüttelte dem Retter seines Vaters die Hände und hub an: „Großes, hat der Herr an uns getan. Sein Name sei gepreist in Ewigkeit! Er hat uns den Arm geführt und gestärkt zur Rettung unsrer Lieben und hat uns gewiesen, daß wir einander sind gemacht zum Heil. Der Name des Herrn sei gelobt! Und ehe wir uns kannten, ward uns eine Freundschaft besiegelt. Dies Siegel soll uns heilig sein und nimmer verrückt, noch geschädiget werden!“
Darnach reichte der begeisterte Theologus auch der Jungfer Ursel die Hand. Aber er spürte nicht ihr Zittern und sah nicht ihr Glühen und die Wogen des Busens; denn der Riß in seinem Herzen war noch nicht geheilt.
Des Ratsherrn Aufregung war so groß, daß er vergaß, den Herrn Bötzinger nach „der Pike“ zu fragen, die der Attentäter auf seinen Vater gehabt haben müsse. Und es dachte überhaupt niemand daran, darnach zu fragen. So ist dem armen Martin die größte Verlegenheit erspart geblieben.
Als bei Sonnenuntergang der Ratsherr Michael Böhm mit seiner Tochter dem Haus zuschritt, hinter dessen Giebelfenster der große Rosmarin zu den Marumverumstöcken und Muskatblättlein und Gelbveigelein sagte: „Macht euch raus und breit und seid mit euerm Geruch fein da, wenn sie kommt!“ – sang im offnen Bodenfenster die Schwalbe:
Vetter Michel, ei! Vetter Michel, ei!
Ei, wo bleibt ihr doch?
'S ist im Stall ein Loch!
Die Spitzbüberei nahm der Kälber zwei:
Seht sie net mehr.