Achtundzwanzigstes Kapitel
Engelspuk und Enkelzauber
(1627)
Der Flitterwochen waren es nur zwei in der Mark; aber sie waren reich an Glück und Überglück.
Der Kurfürst wollte die Mansfeldischen Truppen nicht länger dulden, und um der immer schwieriger werdenden Verpflegung auszuweichen, wurde Mansfeld bestimmt, nach Schlesien abzuziehen. Er verfügte über eine Streitmacht von zwanzigtausend Mann, worunter auch die vom Herzog Johann Ernst von Weimar kommandierte Abteilung von siebentausend Mann war. Es waren dem Mansfelder auch französische Subsidien zugeflossen.
Der Rittmeister Schweigmund von Unfind vergönnte auf dem Zuge durch Schlesien eines Mittags seiner Schwadron wegen zu großer Hitze einige Stunden Rast im Walde, und Hinz benutzte die Gelegenheit, in einem jungen Fichtenbestand ein Gericht junger Vögel „ausfündig“ zu machen, um es der „gnädigen Frau“ auf seine „fränkische Art“ zuzubereiten. Und da ward ihm – dem treuen Hinz – von dem „Schützenmelcher“ (dem Bauern Melchior Hedlof, der fünfzehn Jahre lang mit seinem Feuerrohr meuchlings Rache an den Soldaten aller Parteien nahm) das Lebenslicht ausgeblasen.
Der unglückliche Ausgang dieses Zuges ist bekannt.
Mansfeld hatte den Rest seiner Truppen dem Herzog von Weimar übergeben und gedachte nach Venedig zu reisen, wahrscheinlich, weil er sich sehr krank fühlte und in einem mildern Klima Genesung zu finden hoffte. Sein Rittmeister Schweigmund von Unfind war in seiner Begleitung und wurde in der Nacht auf den 30. November an die Seite des Abenteurers gerufen.
Es war in einem Dorfe in Bosnien.
Da stand in der spärlich erleuchteten Bauernhütte der Gönner des Rittmeisters von Unfind in voller Kriegsrüstung, gestützt auf zwei Soldaten, und stöhnte.
„Sieht Er ihn – Unfind – den Schatten? – Er will auf mich! – Er will die Würfel! – Der Schatten! – Zerreiß Er ihm den Schuldschein! – Nieder! – Nieder!“
Noch wenige tiefe Atemzüge, ein dumpfes Röcheln: die haltlose Seele ließ eine haltlose, zusammenbrechende Puppe in den Armen treuer Krieger zurück.
Komödie! Noch im Tode!
Ferdinand Il. behauptete einmal, er finde zwischen einem Komödianten und einem Kaiser nur den Unterschied, daß der Komödiant durch einige Stunden auf der Schaubühne einen Monarchen spiele, der Kaiser aber sein Leben lang – der Unterschied liege nicht in der Sache, sondern nur in der Zeitdauer.
Wenn auch diese Behauptung zunächst nur auf das gekrönte Beichtkind des großen Lamormain anzuwenden sein wird, so erinnert uns doch der Einfall des Grafen von Mansfeld, den Tod in voller Rüstung zu empfangen, an sie.
Wir sind nun genötigt, das junge Ehepaar von Unfind in Bosnien seinem Schicksal, worüber bis zum Mai des Jahres 1627 alle Nachrichten fehlen, zu überlassen.
Zu den Wolken erheben wir uns – nicht um der Seele des Mansfelders zu folgen, die dem feindlichen, verfolgenden Schatten wohl nicht entgangen sein dürfte –, auch nicht auf „schupfender Kuhhaut“ erheben wir uns, sondern getragen von den Fittichen der Heimatsliebe; schweben über Berg und Tal, verwüsteten Dörfern und dem Geschwirr fremder Zungen hin und lassen uns endlich nieder zwischen den anmutigen, eichenbewaldeten Hügeln Frankens – an unsrer vertrauten Kreck.
Nicht weit von der Linie, die das Reformationsschwert gezogen hat, liegt das Dörflein Poppenhausen mit der Kirche „Zu unsrer lieben Frauen.“ So klein das Dörflein ist: seine Kirche hatte ein „Immerlicht “ erhalten durch eine Stiftung von neun Gulden, und eine „Immerkuh“ zu Nutz und Frommen des Pfarrers, der selbige „Immerkuh,“ wenn er „abzeucht,“ „zum Gotteshaus“ gehörig, „zu lassen“ hat.
Es ist am Weihnachtsheiligabend des Jahres 1626, und in dem Kirchlein zu Poppenhausen sitzt der junge Pfarrer zur Beichte, und nach der Beichte hat er noch des Sakramentes der Taufe zu walten.
Es ist ein neuer Pfarrer, der am zweiten Advent seine Probepredigt ex dieto: „Hütet euch, daß u.s.w.“ gehalten hatte, und für den am Montag drauf die Schultheißen und Ältesten im fürstlichen Amt die Vokation hatten schreiben lassen. Mit dieser war er nach Koburg zum „General“ gegangen, hatte sich von Dr. Fink den Text zu der am Dienstag dort zu haltenden Probepredigt geben lassen ex Psalm 95, sich am Mittwoch früh sieben Uhr zum Examen gestellt, war zur Beichte gegangen und hatte am Tage Thomä die Ordination empfangen. Nach der Ordinationsmahlzeit bei dem „General“ hatte er bei allen vorgesetzten Herren den „Dank ausgeteilet“ und war noch bis Ummerstadt gegangen, wo er den Herrn Superintendenten Sebaldus Krug und den Herrn Schösser in der Investitur seines Antecessoris getroffen hatte.
Dieser wohlbestallte Pfarrer von Poppenhausen ist unser Martin Bötzinger. Vor zwei Jahren, auch am Weihnachtsheiligabend, hatte er in der Schule zu Mupperg fieberkrank gelegen und hernach bei der frommen Mutter Trost gewonnen; heute steht er in Amt und Würde und waltet der Sakramente seines Heilandes. Wohl dem Manne, den eine fromme Mutter zur Schwelle des Amtes geleitet!
Der Jägermeister von Rudolstadt hatte ehedem zu dem phantasierenden Studenten Bötzinger gesagt: „Er sprengt einmal seine Beichtkinder alle in die Luft!“ Der nun bestallte Pfarrer konnte solche Befürchtungen nicht mehr heraufbeschwören: seine Brust war zur Wohnstätte des Friedens umgewandelt; seine Wahnphantasien hatten sich gelegt, und der Spiegel seiner Seele war ruhig wie der Meeresspiegel zur Zeit der Leinernte. Wie der Käfer im heitern Sonnenschein schwamm unser geistlicher Simplicius in heiterer Liebe. Zwischen ihm und des Ratsherrn Michael Böhms Töchterlein Ursel brauchte nicht mehr die lahme Magd von Gompertshausen auf ihrem schwankenden Karren mit dem langhaarigen Fritz hin- und herzufuhrwerken; zwischen ihm und der wonniglichen Jungfrau waren alle Schranken des Wahns gefallen, und war die Hoffnung auf völlige Vereinigung vor aller Welt bis zur nahen Erfüllung gediehen; zwischen ihm und ihr war nur noch der Weg von Poppenhausen nach Heldburg und von Heldburg nach Poppenhausen, und der war von so geringfügiger Bedeutung, daß er sich sehr oft ausnahm wie ein Stiel, an dessen einem Ende zwei Blumen aneinanderlehnen.
In der Fastenzeit wurden Sponsalia solonnia gehalten, und der Herr Schösser Andreas Götz und der Herr Superintendent Sebaldus Krug waren die „Freiherrn“. Vierzehn Tage nach Ostern sollte die Hochzeit sein. Aber siehe da! Als am „Dienstag nach Jubilate alle Präparatoria dazu gemacht waren, kamen eben an solchem Tage achttausend Mann Sachsen-Lauenburgisch Volk nebst dem Fürsten selbst vor Heldburg, schlugen ein Feldlager auf den Samen, verderbten in acht Tagen die Stadt und das Amt dermaßen, daß weder Kalb noch Lamm, weder Bier noch Wein mehr zu bekommen war. Es wurde aus allen Ämtern Proviant zugeführt, und konnten dennoch kaum die Fürstl. Offiziere und Beamten unter ihnen bleiben und wurden wegen Kälte, so einfiel, in die Stadt und Dorfschaften etliche Tage eingelegt.“
Das sind die eignen Worte Martin Bötzingers aus dessen Vitae curriculo. Wir lassen ihn weiter erzählen.
„Da bin ich zu Poppenhausen im Pfarrhaus das erstemal geplündert worden. Denn ich nicht allein nichts verwahrt, sondern vielmehr zugeschicket hatte, als wenn ich einen ehrlichen Gast oder Offizierer herbergen wollte. Kam um mein Weißzeug, Bettgerät, Hemden etc.; denn ich wußte noch nicht, daß die Soldaten Mauser wären und alles mitnähmen. Mußte der Landesfürst, Herzog Kasimir, selber nach Heldburg reisen, und stellete dem Lauenburger ein Fürstl. Banquet an, schenkte ihm etliche stattliche Rosse und achttausend Thaler, damit er ihn nur hinweg brachte. Nach diesem Unglück fand sich allenthalben der Segen Gottes wieder ein mit Verwunderung.
Die Wintersaat nach Hellingen zu war vom Grund weg; denn viel tausend Hütten, Quartiere und Feuer, viel hundert Schock Stroh und andres waren da beisammen und machten mehr eine Wüste als Äcker aus. Gleichwohl wuchs aus allen gebrannten Hüttenstätten und Gruben so eine dicke Saat, daß desselbigen Jahres ein Überfluß des Winterbaues ward. Miraculum!“
Mit den Lauenburgern war auch die Kälte abgezogen. Laue Lüfte spielten mit der Wetterfahne, und im Giebelfenster des Ratsherrn Michael Böhm sang im Abendsonnenschein die heimgekehrte Schwalbe ihren Gruß. –
Aus der Ferne weit
Lockt die Frühlingszeit
Mich zu euch, ihr lieben, guten Leut!
An dem heißen Nil
Ward mirs gar zu schwül,
Als mein Rödlein wieder sich erneut.
'S macht mir große Freud,
Daß die Ursel heut
Nit mehr trauert wie im vorgen Jahr.
Mit dem Myrtenkranz
Wird zum Hochzeitstanz
Bald sich schmücken ein erprobtes Paar.
Auch die Lise lacht,
Und der Zacher macht
Mir ein gar zu feierlich Gesicht;
Wenn nach kurzer Frist
Eure Hochzeit ist,
Vergeßt den Zacher und die Lise nicht.
Der Zacher lehnte in der Stallhalle und zog die Lise, die zum Melken vorübergehen wollte, zu sich. „'S Kriegswetter ist nun abgezogen, und nun wirds wohl mit der Hochzeit gute Wege habn.“
Da drückte sich die Lise an den Zacher und wischte sich eine Zähre von der Wange. Sie verstand gar zu wohl, was ihr Zacher sagen wollte; aber sie schwieg, und er auch. Desto lauter wurden die Schläge der treuen Herzen.
Da kam ein alter Mann durch das Hoftor und schritt auf das Pärlein zu.
„Ist das der Zacher von Rauenstein?“, fragte der Fremde.
Die Lise fuhr eilig nach dem Stall zu, blieb aber neugierig in der Tür stehen, als sie die Frage des Fremden vernahm.
„Der bin ich!“, rief der Zacher.
Der Fremde begab sich in die Stallhalle und setzte sich auf den Futtertrog; er schien sehr müde zu sein. Zacher setzte sich zu ihm. Und nun ergab sichs, daß der Fremde ein Bote von dem Burgvogt, vielmehr von dem Kutscher des Burgvogts von Rauenstein war.
„Der Bediente des Burgvogts Ernst von Schaumberg ist gestorben, und da nun der gnädige Herr einen Bedienten braucht, und ein junger Kutscher ihm lieber ist als ein alter, so soll dein Vater Bedienter und du sollst Kutscher in Rauenstein werden.
Und sie haben mich hergeschickt, daß ich dir das sagen soll. Und die Lise sollst du mitbringn, hat dein Vater gesagt; denn des Bedienten Tochter, die Köchin war, freit nach Schalkau, und die Küchenmagd soll nun Köchin werden, und den Posten der Küchenmagd soll die Lise kriegen, und hernach könntst du die Lise frein.“
Der Lise war kein Wort entgangen, und vor freudigem Schrecken entfiel ihr der Melkstutz. Aber dem Zacher standen die Augen so gläsern und unbeweglich im Gesicht, und er war so steif geworden, daß er dasaß wie aus Holz geschnitzt.
Endlich stand er auf und schritt bedächtig auf die erschrockne Lise zu, die noch an der Stalltür lehnte. Der Melkstutz lag noch neben ihr, und sie wickelte ihr Schürzenbandende fest um den Finger und wickelte es wieder ab und wickelte es noch ein wenig fester wieder auf. Und Zacher sagte zu ihr:
„Hasts gehört?“
Lise nickte.
„Nun geh nur gleich und sags unsern Herrnleuten, wies steht!“
„Das kann ich net!“
„Ich auch net!“
„Geh nur, Zacher! Geh!“
„Ich geh net!“
„So müssen wir halt da bleibn!“
„Da bleibn wir net!“
Da ließ die Lise ihr Schürzenbandende los. Es war ihr ein rettender Gedanke gekommen.
„Den Mann dort läßt du in deiner Kammer mit schlaf; gibst ihm erst zu essen und zu trinken. Und wenn ich gemolken hab, geh ich nach Gompertshausen zur lahmen Magd; die schafft Rat, Zacher!“
Die Lise machte sich nun rasch an ihr Milchgeschäft, und Zacher wandte sich wieder an den Fremden und besorgte bei der Hausfrau für „seinen Rauensteiner Besuch,“ was des Falles not war.
Auf dem Warnungswisch eines Kleeackers sang eine Lerche ihr Abendlied, und nicht weit davon eilte auf dem Weg nach Gompertshausen die Magd des Ratsherrn Michael Böhm vorüber.
Hinter den Haßbergen säumte ein liebliches Abendrot den Himmel, und im Gellershäuser Holz begann schon die Nacht ihren dunkeln Mantel zu entfalten. Die brave Lise wagte sich in dem eben betretnen Wald nur scheu und langsam vorwärts. „Nach Sonnenuntergang geht der Pillenhändler um und fahndet auf Jungfrauen.“ Das Herz pochte der aufgeregten Lise heftig, und wenn unter ihrem Fuß ein dürres Reislein knackte, fuhr sie zusammen. Sie kam der Stelle immer näher, wo der Pillenhändler begraben lag, und Furcht und Angst begannen sie in Flucht zu treiben. Sie hat die verrufne Stelle hinter sich und eilt dahin wie ein gehetztes Reh. Plötzlich erhebt sich vor ihr im Weg eine unförmliche Gestalt und stammelt: „Ei, bravs Jüngferle!“ Mit einem Schrei springt Lise vom Weg ab, in den Wald hinein. Aber der Schrecken hat ihr die Glieder gelähmt, und sie sinkt bewußtlos zusammen. –
„Ei, bravs Jüngferle!“, klingt es dicht neben ihr, und die unförmliche Gestalt will sich nieder neigen zu der Hilflosen. Aber wie in Verzweiflung springt sie auf und stößt mit der Kraft einer Riesin den Unflat von sich.
„Kinder Sodoms!“, gurgelte es, und neckende Kobolde kamen und hingen sich an den Fuß des fluchenden Mönches, daß er noch einmal zu Fall kam, und zeichneten ihm mit Rötel Figuren in das schweißige Gesicht und auf die fleischigen Hände.
Die arme Lise fand sich bald wieder zurecht. In Gompertshausen kam sie aber sehr erschöpft an. Während die lahme Magd Feuer schlug, erholte sie sich einigermaßen, und beim düster brennenden Lämpchen unterbreitete sie der weisen Einsicht der Gompertshäuser Großmacht den Fall neuer Not im Hause des Ratsherrn Michael Böhm.
Elsa sagte ihre Wirksamkeit zum Guten zu und hub dann an: „'S wird mein letztes Werk im Haus des Ratsherrn sein. Alleweil krieg ich andre Arbeit. Liebstes Gottle! Du hast mich lang gepanzerfegt, du hast mir viel Schmerzen, Bekümmernis und Anfechtung auferlegt; aber du hast mich allezeit geduldig befunden und unterwürfig deiner gewaltigen Hand. Und siehst du, Lise? Unser Herrgott muß derhalben sein Wohlgefallen an mir einfältigem Mensch haben. Denn heut früh zwischen sieben und acht Uhr ist mir ein Engelein erschienen und saß da auf meinem Tisch in einem roten Hemdlein und mit weißen Plätzlein. Das hat gesagt, die Menschen sollten Buße tun, und es hat geschrien: „O Weh! Weh, o Weh! Weh! Über die großen Städte und über ganz Deutschland!“ Und es wird noch ein schrecklich Blutvergießen kommen, hat es gesagt. Und die Obrigkeit solle abschaffen Gotteslästern und Fluchen, dicke blaue Krägen und das Gestärke, blöchlete Schuh, zerschnittne Wämse und andre dergleichen Hoffart, wo nicht, würde es zugehen wie zu Jerusalem. Und wir sollen alle auf unsre Knie fallen und fleißig beten; denn Gott wolle sein Wort nicht lassen unterdrücken.“
Lise hatte die Hände gefaltet und andächtig zugehört, und als die Elsa schwieg, fragte sie: „Habt Ihr Euch net gefürcht, als das Engelein „Weh!“ geschrien hat?“
„Einfalt!“, brummte Elsa. „Freilich! Aber das Fürchten hat net lang gedauert; ein Himmelsbot bringt keine Not.“
Lise seufzte; sie wollte der lahmen Magd ihr schreckliches Erlebnis verschweigen, aber der Gedanke an den Rückweg schnürte ihr die Brust zusammen, und in ihrer Angst seufzte sie abermals tief auf, sodaß sie vor sich selbst erschrak.
„Lise, dir fehlt was“, sagte Elsa, „du hast ein schwer Anliegen – schütt nur dein Herz aus!“
„Im Holz hatt ich alleweil auch ne Erscheinung, aber es war kein Engelein. Wenns net der umgehend Pillenhändler war, so wars der Pater Willius. Ich bin vor Angst bald umkommen.“
„Dir erschienen? Alleweil im Holz? 'S war der unflätig Pater. Heut nachmittag habn die Bubn auf der Gasse mit Kletten nach ihm geworfen. Verzeih mirs Gott! Aber dem alten Sünder hätt verwichen das Kriegsvolk den Garaus machen solln, als er ihm ins Lager geraten war. Aber sie haben ihm den Staupbesen gegebn und habn ihn laufen lassen.“
„Mir ist sehr bange, Elsa! Denn morgen früh bald muß ich zur Arbeit daheim sein; aber ich getrau mir in der Nacht den Weg net zu machen. Was fang ich an?“
„Du bleibst da bei mir übernacht; morgen muß ich nun doch zu deinen Herrnleuten wegen deiner Freierei. Da fährst du mit mir; wir brechen recht bald auf, daß wir drin sind, wenns für dich Zeit ist.“
Damit beruhigte sich die Lise. Und als beide Frauenzimmer ihren Erscheinungen hin und her noch ein wenig Kolorit verliehen hatten, räumten sie dem edeln Geschlecht des Herrn Flink und der Frau Niedlich das Feld zur Jagd auf gefallne Russen und stärkten sich durch einen tiefen Schlaf zur Morgenfahrt.
Der Bote von Rauenstein schlief noch fest, als Zacher seinen Pferden Futter vorlegte. Der Haushahn hatte sich auf die Wagendeichsel geschwungen, während sein Volk das scharrende Tagewerk begann, und krähte im Vollbewußtsein seiner Souveränität seinem Nachbarsouverän eine Kriegserklärung zu.
Hinter Marumverum und Rosmarin träumte Jungfer Ursel vom Dornröschen und vom Königssohn, und im offnen Giebelfenster sang die Schwalbe:
Hochzeitskleid
Ist bereit:
Glück und Segen kommt von oben her.
Schönste Zeit,
Wenn ihr freit:
Lieb und Treu gilt mehr als Gold und Ehr.
Not und Streit
Bleibe weit,
Find den Weg zur Kammer nimmermehr!
Fried und Freud,
Seligkeit
Euch des Himmels Allgewalt bescher!
Auf ihrem Karren fuhr die Gompertshäuser Großmacht zum ratsherrlichen Hofe ein. Lise half ihr herab und winkte den in der Stallhalle gaffenden Zacher zur Versorgung des langhaarigen Fritz herbei. Sich hinterm Ohr kratzend brummte Zacher: „Der Gaul ist mir ein Greuel! Aber weil die lahm Magd heut meine Sach führt, solls ein guter Habertag für ihn werden. Komm, alter Sauerampferfritz!“
Fritz nickte hinter dem Zacher drein und wieherte, als hätte er seine Rede verstanden. Und auf der Treppe sagte die lahme Magd zur Lise: „Mein Männle spürts schon, daß es ein guter Tag wird.“
Die Frau Böhm geleitete die lahme Magd in die Stube, während sich die Lise in den Kuhstall begab.
„Frau Böhmin“, sagte Elsa, „es ist alles gut, recht gut, recht gut! – Aber, du liebstes Gottle! Bei der Freud steht alleweil die Wermutstauden. Die Jungfer Urschel wird ja nun Frau Pfarrern in Poppenhausen; das ist ja net weit, aber sie geht halt doch.“
Vor den Augen der Frau Böhm tanzten schon rote und gelbe Ringel in der Luft, und bald rann ein Zährlein ums andre auf die Wangen.
„Ihr habt doch Euer Freud dabei! Aber draußen in der Stallhall habn sie geknobelt: und die Lise und der Zacher habn gewonnen; aber der Herr Böhm und die Frau Böhmin habn verlorn. Euer Gesindlein will auch frein. Der Bot von Rauenstein, den Ihr geherbergt habt, hats verkünd, daß der Zacher des Burgvogts Kutscher werden und die Lise frein soll. Da hättn die beiden bald „Juch!“ geschrien; aber die Wermutstauden! Sie gehen net gar zu gern von Euch fort. Na, sorgt nur net, Frau Böhmin! Ihr bekommt schon wieder ordentlichs Gesindlein!“
Die Frau Böhm faltete die Hände und rief: „Nachher bin ich gar net mehr daheim! Ich werd in die Fremd gesetzt! Das ist ja hernach gar net mehr mein Haus!“
Der Ratsherr Michael Böhm trat ein und bot freundlich einen guten Morgen. „Was führt Euch so früh zu uns, Elsa?“
„Morgenstund hat Gold im Mund, Herr Böhm; aber für Euch möchts Blei sein, was ich Euch mit dem Morgen bring.“
Nun las erst der Herr Böhm aus dem Antlitz seiner Ehewirtin eine gewaltige Verstimmung und brummte: „Da ist nichts Guts im Anzug.“
„Net schlimm! Gar net so schlimm, wie die Frau Böhmin denkt. Es ist halt ein Kleeblatt rebellisch. Das Frein steht an; und wos einreißt, da werden alte Knoten zerrissen, wenn sich die neuen zusammenziehn. – Daß ichs kurz mach: eure Lise und euer Zacher habn mich bestellt, daß ich ihren Herrnleuten ihr schwer Anliegen beibringn soll. Sie wolln von euch fort, weil sie der Burgvogt von Rauenstein habn will, bei dem sie einander frein können. Das freut die Lise; aber sie flennt doch. Und der Zacher tät gern Juch schrein; aber er kratzt sich hinterm Ohr. – So stehts, Herr Böhm. Neben dem Hochzeitsstrauß steht die Wermutstauden. Und wenn die Wurst auf dem Pfannkuchen tanzt, ist manchmal a weng Leibschneiden dabei.“
Der Ratsherr Michael Böhm stemmte den rechten Arm in die Seite und stellte sich ans Fenster; seine Ehewirtin sah nach der Morgensuppe, und die lahme Magd setzte sich auf einen Schemel, faltete die Hände im Schoß und bewegte langsam den Kopf auf und nieder wie der Kartenmann auf dem Ofensims, wenn die Hitze in die Höhe schlägt.
Jungfer Ursel steckte sich am Spiegel eben die goldnen Flechten zurecht, als ihre Mutter leise die Tür des obern Stübchens öffnete und nach einem herzlichen „Guten Morgen!“ meldete, daß die Suppe bald fertig sei. Dann rief die geschäftige Hausfrau nach der Stallhalle hin: „Zacher! Lise! Kommt! Bringt den Rauensteiner mit!“
Nach wenigen Minuten saßen alle Hausgenossen, der Bote von Rauenstein und die lahme Magd um den Familientisch im Kreis, und der würdige Hausherr las den Morgensegen. Dem Boten von Rauenstein begannen während der Andacht die Wangen zu brennen. Anfangs blickte er nur dann und wann verstohlen nach der Lise hinüber; dann aber vermochte er sein Auge nicht mehr von ihr abzuzwingen: es hing an der kernigen, treuherzigen Maid wie verzaubert und erglänzte zuletzt in salziger Flut.
Nachdem die Morgensuppe eingenommen war, trat der Bote von Rauenstein zu dem Ratsherrn und sagte mit bebender Stimme: „Hochachtbarer, ehrenfester Herr Böhm! Wenn mir nur vergönnt sein könnte, ein Weniges unter vier Augen mit Ihm zu reden!“
Das Gesinde, die Hausfrau und Jungfer Ursel hatten sich schon entfernt, und als sich der Ratsherr zu der lahmen Magd wandte, rief diese: „Habs schon gehört, Herr Böhm, geh in die Küchen.“
Die Männer waren allein, und der Rauensteiner begann in großer Erregung: „Herr Böhm! Es gibt nur zwei Menschen in der Welt, die ich lieb hab und verehre, und denen darf ich mich net nahen, weil sie mich eigentlich gar nichts mehr angehn.
Aber jetzt da in seinem Haus hat mich der liebe Gott einen Engel schauen lassen, der mich was angeht, und der mir mein Gemüt aufgewühlt hat, daß ich zittere, weil ich sagen möcht zu dem Engel: Du bist eigentlich mein eigen. Ach, ratet mir, Herr Böhm, was ich tun soll!“
Der Ratsherr starrte den Alten an als einen Irrsinnigen; denn er verstand nicht, was er gesprochen hatte, und schüttelte den Kopf und fragte: „Wessen soll ich mich versehen, daß ich Euch raten könnt? Ich kenn Euch nicht und versteh Euch nicht.“
Der Alte setzte sich und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Nach einer peinlichen Pause erhob er sich und sagte: „Ich muß Ihm beichten, Herr Böhm! Seine Magd, die Lise, ist mein Tichterla.“
Der Ratsherr wich einen Schritt zurück und schlug die Hände zusammen. Er war blaß geworden, als hätte ihn ein jäher Schreck getroffen.
Dem Alten war der furchtbare Eindruck, den seine „Beichte“ auf den Ratsherrn gemacht hatte, nicht entgangen. Er stutzte; seine Gemütsbewegung stand; er begriff nicht, warum seine Eröffnung den Ratsherrn so erschrecken konnte. Da fragte er zaghaft: „Wißt Ihr von dem Großvater Eurer Lise?“ – Lange stand er in ängstlicher Spannung da und war nicht imstande, ein ferneres Wort über die Lippen zu bringen.
Endlich fragte der Ratsherr: „Habt ihr net vor Jahren Fleisch aus meinem Stalle mit verzehrt?“
Der Alte erbleichte und begann zu schwanken. Von dem Ratsherrn zum großen Lehnstuhl geführt, brach er zusammen. Herr Michael Böhm holte einen Krug Wein, und als der Alte die Augen aufschlug und den Ratsherrn ausdruckslos ansah, reichte ihm dieser einen Becher seines kräftigen Trankes. Bald verriet das Auge des Alten etwas Sammlung, und der Ratsherr nötigte ihn abermals zum Trinken und erzählte ihm: „Mein künftiger Eidam, der Herr Pfarrer Martin Bötzinger in Poppenhausen, hat mir vom Großvater unsrer Lise erzählt. Als Ihr in der Verzweiflung Hilfe bei dem Hauslehrer suchtet, saß ich mit Gesellschaft bei dem Herrn Amtsschösser, und Euer Schicksal und Elend war mir zu Herzen gegangen, und ich hätte Euch damals gleich zu mir genommen, wenn nicht der Herr Schösser bessern Rat gewußt hätt. Seid Ihr denn net mehr in Veilsdorf bei Euerm Eidam?“
Der Alte hatte die Hände gefaltet und sah den Ratsherrn staunend an und schüttelte mit dem Kopfe.
„Nun kann ich Euch raten“, sagte der Ratsherr; „die Lise muß heut noch ihren Großvater kennen lernen. Sie ist brav, und der Zacher, der sie freien will, ist auch brav. Wenn sie ihr kleines Hauswesen gegründet haben, zieht Ihr zu ihnen, und dann wirds schon zutreffen, das vom Engel. Und wenn Ihr der Lise hernach einmal Eure Geschichte erzählen wollt, so könnt Ihrs getrost; bis jetzt weiß sie noch nichts über Euch.“
Der Alte wischte sich die Augen und bat: „Wenn Ihr ein Gebet wißt, das für mich paßt, so betets mir vor; es soll mich stärken zum Stündlein mit der Lise.“
Der Herr Michael Böhm war dem Alten zu willen. Darnach ging er in den Stall und brachte der Lise so subtil, als es möglich war, die erschütternde Eröffnung bei.
„Ach, Herr Böhm! Es kommt gestern und heut über mich her wie Gewitter. Beim Morgensegen hat er mich so sehr angesehen; da hat schon der liebe Gott den Schlüssel an meine Herzenstür gesteckt, daß ich ihn auch ansehn mußt. Aber freilich wußt ich net, wies zuging!“ Die Lise hatte den Besen fallen und die Hände sinken lassen.
„Geh hinein zu ihm, Lise! Er ist allein. Schenk ihm von dem Krug ein, der drin im Fenster steht, und trink einmal mit ihm. Ich will unterdessen einmal nach den Pferden sehn und hören, wie der Zacher über eure Hochzeit denkt.“
Das „Stündlein mit der Lise“ war ein heiliges. Dem Verschollnen war aus der Zeit liebereicher Jugend ein Wesen erstanden, das ihn über die Berge und Jahre hinüber nach Brattendorf lockte und ihn verjüngte zum feurigen Burschen; und es war ihm, als hätte er gestern abend „Gute Nacht!“ zu seinem Schatz gesagt und müsse nun auf den „Wachberg“ und sich nach ihm umsehen, ob ihm beim Ziegenfuttersammeln nicht Unheil widerführe; dann tauchte ein Leichenzug auf, und darnach kam „der kleine Götz von Berlichingen“ und jagte ihn in die Flucht. Und, wie aus den Wolken stürzend, schrak er zusammen, und die welke Haut seiner knöchernen Hände und die müden Glieder erzählten ihm von einem langen, verlornen Leben und von der Nähe des Grabes: aber da saß noch neben ihm die blühende junge Gestalt in ihrer Zaubermacht.
„Guts Herla! Ihr habt mir und dem Zacher gestern eingeschenkt wie der liebe Gott dem König David. Wenn ich in Rauenstein in der Küchen helfen kann, wenn dem gnädigen Herrn Burgvogt was Guts hergericht wird, und der Zacher sich nachher in der Livrei staatsmäßig vorn auf die Kutschn setzt, und ich kann sagen: Siehst du, Lise, das ist dein Mann! Da wirds halt sein, als wenn unsre Schwalbn beim Sonnenaufgang mir ins Herz inne säng.“
Drauf sagte der Alte: „Und wenn ich büttneriern und Schuh flicken könnt in eurer Gesindstubn in Rauenstein und hätt eine Heimat bei meinm Tichterla, da wärs halt für mich, als käm der Herrgott zur Tür nein und schlüg mir mit seiner starken Hand auf die Achsel und tät sprechen: Na, Alter, so macht sichs besser! Und wenns da net mehr gehen will: ich hab auch noch a Plätzla für ihn!“ –
Der Bote von Rauenstein blieb selbigen Tages noch in Heldburg zur Erholung, und es ward in dem Hause des Ratsherrn Michael Böhm des guten Rates viel gepflogen, und als sich nachmittags der Herr Pfarrer Martin Bötzinger von Poppenhausen in seines Schwähers Haus einfand, gab es noch einen rührenden Auftritt zwischen ihm und seinem ersten Beichtkind, das eben seit der Abendmahlsszene auf dem Straufhain den Weg der Frömmigkeit wandelte.
Ehe Zacher am andern Morgen nach dem „Ziekmantel“ in Acker fuhr, nahm er erst Abschied von dem Rauensteiner Boten und sagte, indem er sich hinterm Ohr kratzte: „Gute Gäul hatt ich; aber eine Kutschen ist doch was anders wie ein Ackerpflug. Und söttes Vieh, wie der Fritz der lahmen Magd, die gestern da war, hat gewiß ein Burgvogt auch net.“
Der Alte versicherte, daß des Zachers Vater „alleweil ein Paar gar feurige Rappen“ fahre, und Zacher fuhr schnalzend davon, und seine Zähne schimmerten, und er knallte mit seiner Peitsche das bekannte Kunststücklein.
Dem dann abreisenden Boten sagte der Ratsherr beim Abschied ins Ohr: „Ich werde dafür sorgen, daß Eure Lise mit dem Zacher in Heldburg kopuliert wird; es sollen aus meinem Haus zwei Brautpaare auf einem Tage zur Kirche ziehen, voran unsre Ursel mit dem Herrn Pfarrer Bötzinger und darnach der Zacher mit der Lise. Die Hochzeit ist am Dienstag nach Exaudi. Ihr kommt zur Hochzeit herunter! Merkts: am Dienstag nach Exaudi!“
Tiefbewegt nickte der Alte und schüttelte dem Ratsherrn die Hand.