Als die Gäste das Wirtshaus geräumt hatten, und sich im Haus nichts mehr regte, schob die kleine Anna den großen Hausriegel vor und begab sich mit einer Kerze nach ihrer Kammer. Da ward sie von einem herrlichen Blumenduft empfangen.
Bald entdeckte sie den Strauß auf dem Fensterbrett. Sie stand lange davor wie verzaubert.
Ja, kleine Anna, den Anspruchslosen, Bescheidenen sind auch Freuden bereitet, mitunter sogar Freuden, die ihnen ursprünglich gar nicht zugedacht waren. Wie das Leben nun die Fäden gerade verwirrt. Die Alten haben gesagt: Der Mensch denkt — Gott lenkt. Hier hat aber eine kluge Witwe gelenkt. — Wie man's nimmt. Kann nicht auch einmal die Klugheit einer Witwe — wenn auch unbewusst — einem höheren Plan dienstbar werden?
Die schöne Witwe liegt bereits im Bett und hat eben wieder einen recht inhaltsschweren Seufzer von sich gegeben. Aber wir wollen uns wegen ihres Kummers vor der Hand den Kopf nicht zerbrechen. Zur rechten Zeit wird alles noch ans Tageslicht kommen. Der Geheimkünstler Schulz, der durch Selbstopfer Verborgenes ans Licht fördert, ist ja auch noch zu haben.
Die kleine Anna betrachtete den Strauß von allen Seiten und genoss den Duft mit Wollust. — „Da sind ja Blumen allerhand darunter, die in unserem Garten gar nicht wachen! Einen solchen Strauß hat keine Prinzessin in ihrer Kammer. Und er muss für mich sein, sonst ständ' er nicht da. Wie der daher gekommen sein mag? —
Er wär' nicht garstig und ein strammer Kerl, hat die Tante gesagt, und sie lerne den Kob von einer neuen Seite kennen. Und wenn der Strauß von ihm ist, so lern ich ihn von noch einer neuen Seite kennen, von der die Tante keine Ahnung hat. — Ach Gott, wenn der Strauß von dem Herrn Querengässer wär! — Glücklich wär ich! Zu glücklich! — Sie hat mich ja gleich gefragt, wer so in mich verliebt wär? — Verliebt in mich! — Es ist was Schönes: Verliebt sein! — Und ich mag diese Blumen ansehn, von welcher Seite ich will, sie jagen immer zu mir, als könnten sie sprechen: Anna, Anna! Riech doch! Wir sind von Herrn Jakob Querengässer für dich bestimmt. Freust dich denn nicht, Anna? Sowas kriegt keine Vornehme in der Stadt.“ —
Und Anna drückte den Strauß an den Mund und machte ein paar sanfte Schwenkungen um ihren Tisch herum, als wären ihr Grazientriebe in die Glieder gefahren. — „Muss der Kob ein gut's Herz haben! Bei dem kriegt's die Frau einmal gut. — Bst, bst! Verschwiegen! Hat die Tante gesagt. — Kein Mensch soll mir was ansehn! Bloß der Jakob! Wenn ich den seh, soll er's doch merken. Und wenn er einmal wieder seinen Arm um mich legt und mich an sich drückt, will ich mich halt nich zieren! — Der Kob will fein vorsichtig behandelt sein, hat die Tante gesagt. Will sie morgen nur einmal fragen, wie das gemacht wird. Die Tante hat ja schon einen gehabt; die wird das schon wissen.“ —
Anna tat ihr Kleinod in ein Glas mit frischem Wasser und stellte es auf den Tisch. Dann begann sie, sich zu entkleiden. Wenn sie ein Kleidungsstück aufgehängt hatte, ging sie zu ihrem Strauß und roch einmal. Die Frau Wirtin hatte wohl recht: die Arme der kleinen Anna waren wunderschön. Aber das liebe Mädchen wusste es gar nicht. Herr Jakob Querengässer, hättest du durch das Fenster hindurch die Begebenheiten beobachten künnen, die die Glückliche mit deinem Strauß machte: Du hättest dich überzeugen müssen, dass er an die rechte Stelle gekommen war. —
Die kleine Anna war etwas spät zu Bett gekommen und noch später in den Schlaf. Wo der mit seinen Träumen sie dann herumgeschleppt haben mag! Durch Hecken und Gärten, zwischen Blumen und Disteln, in Wald und Kirche, zwischen Schlangen und Kröten herum zu singenden Engeln! — —
Es lachte das Morgenrot.
„Anna, steh auf!“ —
„Gleich, Tante!“ —
Sie sprang auf und trat notdürftig gekleidet der eintretenden Wirtin entgegen.
„Tante, Tante! — Sowas! Sieh nur her! Wie mag der schöne Strauß hereingekommen sein?“
„Närrisches Ding! Hereingeflogen ist er nicht. Den hab ich hereingestellt.“
„Du, Tante? Solche Blumen haben wir gar nich. Hast ihn gestern wohl aus der Stadt mitgebracht? — Wem soll ich ihn denn geben? — Dem Müller doch nich! — Dem Herrn Pfarrer auch nich! — Dem Kob doch auch nich! — Was meinst du denn zu dem Herrn Modelleur?“
„Ach, dummes Ding du! — Was ich zu dem Modelleur mein’? Was dir nur einfällt! Der braucht die Blumen nicht; die verwelken doch nur. Der lässt welche aus Porzellan machen.“
„Blumen aus Porzellan? Das weiß ich besser, Tante. In der Fabrik machen sie Mädchen aus Porzellan. Hab’n welche an ihren Fenstern stehn. Aber für den Herrn Rauchenbach sind die freilich nichts. Der wird schon auch eine haben wollen von Fleisch und Blut, — so eine, wie wir welche sind, Tante! — Aber ich möcht ihn nich, den Modelleur. Der guckt so feurig, dass eine, die der anguckt, Blasen kriegen muss.“
„So ein Geschwätz! Anna, du bist noch gar zu dumm! Du sollst diese Blumen überhaupt keinem Mannsbild geben. Was sollen denn die Männer mit Blumen tun? Die rauchen ja. Da haben sie des Geruchs genug. Oder sie schnupfen, wie da der Organist. — Blumen sind für Frauenzimmer.“
„Tante, du hast mich zum Besten. Womit hätt’ ich Blumen von dir verdient?“
„Nicht von mir, dumme Gans! Ich hab sie bloß hereingestellt gestern nachts.“
„Und nun willst du sie holen. Nachts kriegt man Kopfschmerz von den Blumen. Deshalb hast du sie wohl nachts über nich an deinem Bett haben wollen. Versteh dich nun schon. Aber du hast gestern auch ohne Blumen Kopfschmerz gehabt. Hab dich seufzen hören. Und ich hab bei den Blumen geschlafen und hab keinen Kopfschmerz bekommen. Man red’t halt mitunter auch dummes Zeug. — Und wo hast du denn den schönen Strauß her, Tante, wenn man fragen darf?“
„Von dem Herrn Querengässer.“
Die kleine Anna verfärbte sich und rief hastig: „Vom Kob? Du, Tante, vom Kob! — Ein schlechter Kerl!“ Dabei schlug sie die Hände vor das Antlitz und sank auf einen Stuhl und ließ den Kopf auf den Tisch sinken.
„Seid ihr denn alle verrückt? — Nun denkt die gar auch, ich hätt's mit dem Kob! — Herr Gott im Himmel, was soll denn der Kob mit den Weibsen allen tun? — Der wär froh, wenn er eine hätt! — Ich denk, er hat dich gedrückt?!“ —
Die kleine Anna rührte sich nicht. Aus dem Paradies gestoßen, wie die Lisette, von der giftigen Eva! —
Ja, schöne Wirtin, das ist der Fluch, wenn man die Fäden verwirrt: sie schlingen sich einem wie ein Netz um die Glieder. Warum zauderst du, das Gewirr zu zerreißen? Meinest, es sei noch ein wenig zu früh. Und die Sache will allerdings vorsichtig geleitet werden in ihrer Entwickelung. Nur beim Entwirren keine festen Knoten ziehen! Immer fein säuberlich!
„Hörst du, Anna! — Was zierst du dich denn so? — Der Kob hat gestern Nacht die Blumen für dich geschickt. Da hab ich sie in deine Kammer gestellt. Sie sind ja dein! Ich will sie gar nicht haben. Ich hab dir nur noch was auszurichten vom Kob!“
Die kleine Anna hob den Kopf etwas, zog die Hände vor dem Gesicht hinweg und schielte nach der Tante in die Höh.
„Ich weiß gar nich mehr, was ich denken soll.“ —
„Nichts sollst du denken“, fiel ihr die Tante entgegen. „Mit euren dummen Gedanken macht ihr mich selbst noch konfus. Schießt doch nicht immer im Blauen herum! Den Strauß da hat Kob geschickt für dich! Und du sollst ihn an dein Fenster stellen: daran wollt er erkennen, ob er dir angenehm sei.“
Anna sprang auf. „Ich hatt ihn schon für schlecht gehalten. Aber es ist wahr: der Kob kann nich schlecht sein. Das würd gar nich zu seinen Augen stimmen.“
„Seinen Augen stimmen? Hast du ihm denn so tief hineingesehen? Wie hast du denn das angefangen?“
„Heimlich, wenn er's nich merken konnt.“
„So guck ihm doch einmal so hinein, dass er's merken kann! Dann wird er auch in deine Augen gucken müssen. Und die sind auch nicht schlecht. Ich hab einen gekannt, der sagte immer: In den Augen liegt das Herz.“
„Dazu hab ich noch nich das Herz, Tante. Wenn's aber einmal passt, will ich's probieren.
„Nun mach, was du willst. Wirst schon noch beherzter werden.“ Damit entfernte sich höhnisch lächelnd die schöne Wirtin.
Die kleine Anna nahm den Strauß, beguckte ihn wieder von allen Seiten und roch daran. Dabei drückte sie ihn etwas derb an die Nase, daß die roten Rosen ihrer Lippen mit den Rosen des Straußes recht innig in Berührung kamen. Dann stellte sie ihn gewissenhaft dicht an die Fensterscheibe.
„Kob, du bist nich schlecht! Wie ich nur sowas glauben konnte! Kob, ich bin wahrlich, wahrhaftig in Gott! ver — — verliebt!“ — —
Und nun wusch sich die kleine Anna und begann dann ihr üppiges Haar zu flechten. Dabei hielt sie ein ums andre Mal still vor dem Spiegel und sah starr hinein. Sie wollte sehn, ob die Tante recht habe mit der Behauptung, dass ihre Augen auch nicht schlecht seien. Sie bemerkte aber weiter nichts an ihnen wie einen schönen Glanz, in dem ein schönes Blau schwamm. Aber sonst konnte sie nichts Besonderes entdecken. —
„Will nur dem Kob einmal in die Augen gucken, wenn er's sehen kann. Vielleicht versteht's der besser, Gutes zu finden in den meinen. — Schlechtigkeit in den Augen? — 'S ist wahr. Die Schlechtigkeit guckt manchem Menschen schon aus den Augen heraus. Aber bei dem Kob gibt's das nich. Und da ich nich schlecht bin, werd ich ihn schon einmal hinein gucken lassen können. Ich will mir einmal das Herz fassen, wenn's passt.“
So war's beim Haarmachen. Aber der Herr Jakob Querengässer ging nunmehr der kleinen Anna den ganzen Tag im Kopf herum.
Das Wirtshaus stand dicht an einem Felsenberg, so dass die hintere Unterhälfte unmittelbar an die Felswand stieß. Wenn man an der Hinterfront hinging, strich der Kopf an den Blechen der Fenster einiger Kammern hin. In einer dieser hinteren Kammern hauste die kleine Anna.
Wenn im Frühjahr die aufgehende Sonne schräg durch diese Fenster schien und auf den Zwetschenbäumen davor Finke und Grasmücke dem Morgen entgegenjubelten, ward ihr Gesang zum Wecklied für Anna. Aber es war Juli. Da waren die Morgen still und feierlich. Man hörte nur die Hungerrufe junger Rotschwänze, Sperlinge und Schwalben am Dach und die beschwichtigenden Lockrufe der Alten.
Wenn man auf der kahlen, rasigen Bergtafel hinter dem Wirtshaus stand, konnte man auf das Wirtshaus und das Kirchlein, auf das ganze anmutige Dörflein herabblicken. Der Anblick glich einem kleinen Ausschnitt einer Schweizerlandschaft.
Heut stand mit dem Frühsten auf der grünen Bergtafel Herr Jakob Querengässer und blickte herab auf das Dörflein, auf Kirche und Wirtshaus.
„Wo wird ihre Kammer sein? Vornehinaus sind die Räume für die Gäste und darüber sind die gute Stube und der Saal. Die Schlafkammern müssen hinten am Berg liegen.“ So kalkuliert Jakob Querengässer auf sonniger Höh.
Jakob, wo bist du? Deine Heiratsangelegenheit hat dich hoch ins Licht getrieben, — dich, den Freund der Dunkelheit. Aber fürchte dich nicht! — Sie ist bei dir. — Die Lisette? — Der Koatsmüller würde sagen: quod non!
Jakob, wo bist du? Auf dem Holzweg im Duster, in der Finsternis. Aber fürchte dich nicht! Die schöne Wirtin wird bald kommen, dich auf den richtigen Weg im Tageslicht zu führen.
Jakob, wo bist du? Ein Pfau auf der Miste. — Aber fürchte dich nicht. Das Bleigewicht des Dünkels wird dir abgenommen werden, und wahrhaftige Liebe wird dir noch die rotschimmernden Pfauenschwingen stärken zum Aufschwung über Äcker, Wiesen und Mist.
Steig nur herab einstweilen! Steig hernieder, aus sonniger Höhe herunter an die Wand der hinteren Kammern. Hinter dem Fenster einer derselben lacht dir dein feiner Strauß entgegen und predigt: „Kob, ich bin ihr angenehm!“
Jakob Querengässer steht vor dem Kammerfenster und blickt schmunzelnd zum Strauß empor. Er traut seinen Augen kaum. Wahrhaftig, ein prächtiger Strauß! — Aber Lisette? — Sie lässt sich nicht sehen.
Einen Schritt, einen erfolgreichen Schritt hast du bereits hinter dir! — Durch die Blumensprache. — Ja, Bildung! — Sie vermag was; das merk ich nun. — So passt's der Lisette. — Glück auf, Mutter! — Mit der Kindtauf, die der Herr Pfarrer prophezeit hat, wird sich's schon machen!
Kob schlich vorsichtig seitwärts wieder ein Stück am Berg empor, um beim Absteigen für einen etwaigen zufälligen Beobachter eine irreführende Richtung zu bekommen. Er war klug wie die Lerche, die nie unmittelbar vom Nest emporsteigt, sondern erst ein gut Stück ungesehen im Klee hinläuft und dann erst singend auffliegt, um den Stand des Nestes zu verheimlichen. Aber auch singen hätte er mögen wie eine Lerche; denn er hatte sich überzeugt, dass sein Strauß ihr angenehm sei. Nun befand er sich doch schon in einer ganz anderen Lage als damals, da er sie im dunkeln Hof sanft umfangen und an sich gezogen hatte. Er hatte die Brücke der Blumensprache überschritten, hatte nach seinem Wunsch Antwort empfangen und brauchte nicht mehr zu befürchten, sich einer plumpen Ungebildetheit schuldig zu machen, wenn er sie nunmehr ein wenig drückte. Aber vor der Hand müsse es doch noch unter dem Mantel der Nacht geschehen. — Was müsste der Herr Modelleur oder gar der Herr Pfarrer denken, wenn einer von ihnen sähe, wie er der Lisette den Arm um die Hüften legen oder ihr die Backen streicheln würde. — Und der Lisette würde das noch nicht passend erscheinen. Da müssten sie doch wohl erst verlobt sein. — Verlobt! Herrgott, Kob ein Bräutigam! Verlobt mit Fräulein Lisette! — Da lass dir nur gleich noch eine gute Hose machen! — Hab noch gar nicht an den Bräutigam gedacht.
Also heut Nacht! — Aber wie anfangen! — Im Hof begegnen? — Wer weiß, wann das einmal wieder passiert! — Herausrufen lassen wie vom Molle mit dem Strauß? — Geht nicht: so mir nichts, dir nichts! —
Kob grübelte den ganzen Tag. Und je näher er der Nacht kam, desto unruhiger wurde er. Der Mutter fiel es auf, dass dem Kob heut das Essen nicht recht schmeckte. — „Es ist halt so, wenn man alt wird. Jetzt lernen sie Zeug kochen, das unsereins nicht versteht. Das merkt ja mein Kob schon im Wirtshaus, wenn der Herr Pfarrer, oder der Modelleur, oder der Stadtorganist einmal was da isst. — Wenn er eine aus dem Wirtshaus nähm, da würd’s ihm schon schmecken. Manchmal spricht er von Fräulein Lisette. Ich hätt ja nichts gegen die: aber ich denk doch, dass die ein wenig zu vornehm für meinen Kob wär. — An die Frau Wirtin ist gar nicht zu denken. Die geht doch nicht aus ihrem Gasthof heraus. — Die kleine Anna! Hm! Ein gut's Mädchen. Ist auch immer recht freundlich gegen mich. Trägt die Nase nicht so hoch. Und was jene können, kann die auh; — vielleicht noch mehr. Die fragt nit darnach, wenn die Finger und die Nase einmal ein wenig schwarz werden. Und wie die in der Arbeit zugreift! Hab's verwichen wieder in der Heuernte gesehn. Da hat sie dem Knecht die Sense aus der Hand gerissen und hat eine Mahd hingeworfen, dass ich gradnaus geguckt hab. — Hm! Muss mit dem Kob einmal davon anfangen.“
Heute Nacht war Kob der letzte im Wirtshaus. Als der Koatsmüller ging, wandte er sich an seinen Nachbar: „Nun Kob, hast wohl Pech unter der Hose? — Gut Nacht!“
Kob dachte an den Kieferstock und probierte unwillkürlich das Aufstehn. Da es aber keine Schwierigkeit machte, setzte er sich gelassen wieder nieder. Zu seinem Vorhaben passte es, der letzte zu sein.
Fräulein Lisette hatte sich noch nicht sehen lassen. In den Stunden der größten Notwendigkeit bediente heute in dem Herrenstübchen die Frau Wirtin selbst. Fräulein Lisette war zum Kränzchen in der Stadt gewesen, hatte sich aber bereits zu Bett gelegt. Nun war für die letzten Gäste noch die kleine Anna da. Und der war endlich Kob als letzter Gast zugefallen.
Und wahrhaftig! Sie hatte sich ein Herz gefasst und hatte dem Kob, als es sich so schön passte, einigemal ins Auge geschaut, unschuldig und harmlos. Aber einen roten Kopf hatte sie dabei bekommen, dass es sogar dem Kob aufgefallen war. Er blieb aber sitzen, fest wie auf dem Kieferstock. —
Jakob, wo bist du?
Hineingesehen hast du, als dich die schönen blauen Augen trafen. Hineingesehen in den Glanz eines Gestirnes, das dir bis heute fremd geblieben war. Zum ersten Mal haben sich dir die Tiefen eines schönen Mädchenauges erschlossen. — Aber fürchte dich nicht! Fräulein Lisette hat auch schöne Augen. Sieh nur erst einmal dahinein!
Starr und stumm saß er da, der Herr Jakob Querengässer. Plötzlich sprang er auf. Und die Hose blieb nicht am Stuhl hängen.
Das Geräusch des großen Hausriegels hörte er noch. Dann Iehnte er sich im Dunkel der Nacht an einen Zwetschenbaumstamm.
Anna befand sich bereits in ihrer Kammer. — „Nun hat es sich so schön gepasst und er hat mich nich an sich gedrückt. — Aber die Tante hat gesagt: der Kob ist halt blöd. Der hat nur Courage, wenn's finster ist. Wenn's einmal im Finstern passt, wird er schon anders sein.“ — Und nachdem sie einigemal ihren Strauß ans Gesicht gedrückt hatte, löschte die kleine Anna mit den blauen Augen und den schönen Armen das Licht aus und ging zu Bett. —
Jakob lehnte noch immer am Zwetschenbaum. Bald trat die Lisette leuchtend aus der Nacht heraus und präsentierte sich ihm, bald die kleine Anna, — jene ohne Augen, die mit Augen. Das kam dem Kob verwunderlich vor. Er mochte da an dem Zwetschenbaum sinnen und sinnen: er stand vor einem Rätsel, das ihn gebannt hielt. Endlich schlug es auf dem nahen Kirchturm eins. — Dieser eine Glockenschlag nach Mitternacht hat schon manchen arg erschreckt.
Jakob, wo bist du?
Die Frage lag für Jakob in diesem verhängnisvollen Glockenschlag. Er griff mit der linken Hand ans Kinn; dann stieg er empor zur hinteren Hauswand. Es war freilich sehr finster, und es wurde dem Kob schwer, das Fensterblech herauszutasten, hinter welchem er heut Morgen den Strauß entdeckt hatte. Endlich hatte er's herausklaviert. — Da oben steht der Strauß! — Wenn ich da leise poche, nur ein wenig mit dem Zeigefinger an die Fensterscheibe, so wird sich das Fenster öffnen und sie wird flüstern: „Bist du's, Jakob? — Engelsgeflüster! — — Da stößt mein Fuß immer an etwas, das höher ist als der Boden. Wenn das eine Art Fußbank wäre! Das passte ja herrlich! Da käm ich mit dem Kopf hoch genug. — O, wenn es zum Kuss kommen könnte in der finstern Nacht!“ —
Jakob bückt sich und untersucht tastend den erhöhten Gegenstand. Er bringt heraus, dass das der hervorragende Teil eines eingegrabenen Fasses ist, dessen Öffnung ein Bretterdeckel verschließt. — Es ist das Bassin für die Jauche der oberen Hausräume. Praktisch war ja diese Einrichtung, — ob aber angenehm? —
Auf dem Dorf hatte man sonst solche Einfälle. Jetzt hat man's da auch weiter gebracht.
Herr Jakob Querengässer fand für sein Vorhaben die Sache herrlich passend. Er untersuchte den Deckel, ob er haltbar sei, und seine Prüfung befriedigte ihn vollkommen. Aber die Prüfungskälte, wie sie einem hochweisen Inspektor in einer Fabrik oder in einer Schule zu Gebot steht, ging dem Kob gänzlich ab. Der war aufgeregt wie ein Jäger, wenn ihm der erste Hirsch steht, oder wie ein Bube, der auf einem fremden Birnbaum sitzt. — Dabei war ihm natürlich entgangen, dass er bei seiner Untersuchung den Deckel ein wenig verschoben hatte. Als nun Jakob das rechte Bein auf den Fassrand stellte — der Sicherheit wegen — bekam der Deckel noch einen kleinen Ruck nach der Seite hin, und als er das linke Bein nachzog und auf die Mitte stellte, so dass die Wucht des ganzen Körpers zur Wirkung kam: — Plumps! —
So ward aus dem Fass eine Versenkung für den Herrn Querengässer, wie in der Schlacht am Teutoburger Wald rasenbedeckte Erdfänge manchen edeln Römer verschlangen.
Jakob, wo bist du? —
Wenn man glaubt, der Spaß sei doch etwas billig, so mag man ja recht haben. Aber was soll mir da ein geistreicher Einfall, wenn ich aus dem Leben erzähle? Da muss man's eben nehmen, wie's kommt. —
Dass dem Herrn Jakob Querengässer wieder eine Stadtschneiderhose zu Schanden gegangen ist und etwas mehr dazu, mag ihm ein einfältiger Bauer wohl gönnen. Uns gebildeten Leuten geziemt jedoch herzliches Mitleid! —
Ja, Kob! — Wenn wir auch nicht für dich zusammenlegen zu einer neuen Hose etc., wie man's für Abgebrannte oder Überschwemmte tut: wir versichern dich unseres aufrichtigen Bedauerns!