Die kleine Anna hatte sich in die frische Luft geflüchtet. Denn im Wirtshaus war es ihr zu schwül geworden, und bei ihrer Begegnung mit dem Kob in der Hohlgasse hatte sie von diesem den Rat erhalten, bei seiner Mutter einzukehren. Den hatte sie befolgt und war von der Frau Querengässer ungemein freundlich und herzlich empfangen worden.
„Nun ist es im Töpfel, wo’s kochen soll, Anna!“
„Drüben im Wirtshaus kocht’s über, ’s warm Wasser. Ich bin ausgerissen, weil ich's Elend nich mehr mit anhören konnt'.“
„Elend im lustigen Haus? Anna, was für ein Elend?“
„Der Molle hat einen Brief vom Pfarrer an die Lisette gebracht. Und da war's aus mit ihr. Sie jammert und heult und hat sich eingeschlossen. — Wie der Mann nur solche Sachen machen kann! — Und auf der Kanzel steht er wie ein Prophet Gottes. — Die Lisette muss doch was angestift’t hab’n.“
„Der Jakob wird schon wissen, wo dem Hasen 's Bein entzwei ist. Er hat von Verwechselung gesprochen und, dass er zum Pfarrer müsst. — Ich hab's doch gesagt: Wenn nur nix Ungrads dreinkommt! Und ’n bissl Gottesfurcht wär doch auch gut dabei! — D'r Kob ist wie aus dem Häus’l! — Er muss dich doch sehr lieb hab’n, Anna!“
„Und ich hab ihn auch gar sehr gern. Sie werden das gar nich mehr so genau wissen, Frau Querengässer, wie das Verliebtsein ist. Da möcht' man in einem Atem heul’n und lachen!“
„Haduch! Haduch! Die Hauptsache ist, dass man sich ineinander schickt. Die Mannsen hab’n alle was Extras. Aber wie ich mein’n Seligen erst weggekriegt hatt’, ging's wie am Schnürl. Der Kob hat auch seine Laun’n. Und der Michel sagt immer: 'Da hilft kein Zug und fein Pflaster.' Aber ob er auch sein'n Kopf für sich hat: er ist halt doch ein beerguter Kerl! — Heut hatt ich Schöpfenfleisch und Zwiebelbrüh mit Mehlklößen. Und da hat ihn der Geruch in die Küche zu mir gelockt; da war er, dass man ihn um den Finger wickeln konnt. Und da hat er mir's gestanden. Mädel, wie ich mich da gefreut hab! — Da hat er’s von Verwechslung g’habt und vom Pfarrer, und ich bin nich klug geworden. Davon wird wohl der schlimme Brief an die Lisette herkomm'n.“
„Das kann schon sein, Frau Querengässer. — Wenn er's einmal auf die Lisette hatte, so war das freilich eine arge Verwechslung; denn die hat's vom Anfang an auf den Pfarrer gehabt. Und da muss was passiert sein. Alleweil ist das aber ganz anders! Der Kob hat mich fressgern; hab's gespürt.“
Dann neigte sich Anna nach dem Ohr der Frau Querengässer und flüsterte: „Meine Tante hat ihr Spiel dabei getrieben. Das ist eine Neunhäutige! — Der Kob wird schon mehr wissen.“
„Ja, Anna! Das sind Freiersgeschichten. Wenn einmal ’s Kreuz gemacht ist, hört der Kram auf. — Als ich noch mit mein'm Seligen auf Freiersfüßen g’standen hab, hätt' er um ein Härchen einmal eine Prügelei gekriegt. Denn es war noch nich publik, dass wir heimlich eins waren. Wie nun der Stöfels-Christ um mich rumscharmierte, fing mein Seliger an mit allerhand Finessen, und da ich die Kreide merkte, fasste ich mir ein Herz und ließ alle Heimlichkeit fahren, packte ihn am Arm und zog ihn hinaus, und er führte mich heim. Fertig war's.“ —
Frau Querengässer Iachte herzlich, und ihre Bäcklein wurden schön rot, und ihre Äuglein glänzten, dass Anna vor Freude in die Hände klatschte.
Da klopfte es ein wenig ernsthaft an die Tür. Und ohne ein „Herein!“ abzuwarten, ward geöffnet.
„Verzeih Sie, Frau Querengässer, dass ich gradezu geh!“ —
Molle trat ein. — Die gewohnte Freundlichkeit in seinem Gesicht fehlte. Eine auffällige Blässe, aus der große Augen hervorblitzten, kündete Außergewöhnliches.
„Such die kleine Anna. Hab erfahr'n, dass sie bei Sie ist.“
„Ist doch nix passiert? — Wer schickt dich denn aus nach der Anna? Doch nich epper gar Kob?“ —
„Nee! Fra Quarengassern. Dasmol is wos annersch! Weeß egentlich nich racht, wie ich sprache sol. Wos Gehems!“ —
„Herr Jeses! Was G'heims? — Molle, du wirst doc nich einmal vexiert?“
„Bewohre, Fra Quarengassern! D'r Harr Organist uss dr Stodt un dr Brunn'nbuhrer mochen keene Dummheeten. Kunn’s glebe, Fra Quarengassern! ’S muss eene ernsthofte Soche seie! Denn d'r Brunn'nbuhrer sate: 'Lauf schnell, Molle, und bring die Wirtsanna schleunigst raus nach Schlettwein ins Haus des Märtns-Kaspar!' — Un d'r Harr Organist stonn hinter'n un sate: 'Wenn er's nicht schon ausgemacht hat, eh sie kommt.'“
„Ausgemacht?“, schrie Anna. „Wer will sterben, Molle?“
„Weeß nich! Bin uff'n Wag nuch Friedebod mit enn grußen Brief. Un do humm se mich in Schleppchen erwischt und mich express rein gejogt, dass ich d’ Wertsanna erscht hule sellte. Ich hob nun meine Soche do besorgt. Muss nun noch Friedeboch. Wenn d'r Harr Poster drem sein’'n Brief 'ne holbe Stunne später bekommt, su schodt das wetter nischt. — Denn wenn sich's ims Sterb’n dreht, sel is ke Spaß, Fra Quarengassern! Adjes! Lab’n Se wuhl!“ —
Der Märt’nskaspar in Schlettwein schenkte einfaches Bier, führte Bierhefe für die Bauersfrauen zum Striezelbacken — das heißt Grete, seine Frau, besorgte eigentlich den Kram —, führte Salz, Semmeln zu Kloßbrödeln, wenn sie nicht gerade ausgegangen waren, gezogene Lichte, selbstgezüchteten Frischbieressig, der oft recht kahnig war, und Leinöl, auch Majoran und Thymian, wovon dürres Pulver ins Nest der Brutgänse gestreut wurde zur Stärkung der auskriechenden Jungen, wenn sie etwa zu schwac würden beim Durchbrechen der dicken Schale.
Da beim Märt’nskaspar war am Abend vor dem „Elend im lustigen Haus“ das sonderbare Männlein mit dem Reißspiel zwischen Gesicht und Schultern, vor dem der Koatsmüller die Beine zurückgezogen hatte, eingetroffen. Es hatte sich hinter den Ofen gesetzt auf die Ruhbank mit durchgesessenem Überzug, hatte den Kopf in die Ecke gelehnt und war mit Gesicht und Schultern einem so wilden Reigen anheimgefallen, dass es dem Kaspar angst und bange wurde und er davon lief und seine Frau holte, ob da wohl ein Kamillentee oder ein Essigklistier anzuwenden wäre. Als sie miteinander eintraten und er mit untergestemmten Armen, sie mit gefaltenen Händen vor dem erbarmungswürdigen Gast standen, tat es noch ein paar gewaltige Risse in ihm wie zum Verlöschen. — Kaspar tat einen Stoßseufzer, und seine Frau fuhr sich mit der Schürze über's Gesicht.
Es trat Ruhe in dem Männlein ein, und es schlug die gläsernen Augen auf. Dann drückte es sich auf die Seite, als wolle es sich zum Schlafen zurecht legen.
Kaspar ging kopfschüttend davon, drehte sich aber in der Tür um nach seinem Weib, das noch wie versteinert da stand, und sagte: „Mach ihm ein Warmbier!
Sieht aus, als hätt' er den Heißhunger, oder so was.“ —
Grete ließ die Hände auseinander gleiten, als wäre sie eben mit einem Gebet fertig geworden. Aber sie konnte noch nicht von der Stelle. Denn der Unglückliche richtete sein Gesicht nach ihr hin und bekam ein wenig Leben in seinen Augen. Und es war ein ganz absonderliches Leben, das da herausleuchtete in die Seele des gebannten Weibes hinein. — Das Organ für das Lichtgeheimnis spricht selbst in leuchtenden Geheimnissen, spricht in Mysterien, deren Bedeutung die Seelen zwar ahnen, aber nicht verstehen. — Wovon spricht das lebendig gewordene Auge? — Das Weib hat nicht einmal eine Ahnung davon. Aber gebannt ist es. —
Da öffnen sich die blassen Lippen des müden Hauptes.
„Anna! Die Wirtsanna soll kommen! Will ihr den Schlüssel geben.“
Die Lippen schlossen sich wieder. Das magere, blasse Antlitz wandte sich von dem Weib ab. Einige schwächere konvulsivische Zuckungen in Schultern und den Gesichtsmuskeln folgten, und dann trat ein ruhiger Schlummer ein.
„Ein Warmbier mag gut sein, oder erst einmal Kamillentee!“ So dachte die Wirtin und ging in die Küche.
Kaspar schlich ihr nach.
„Ein unheimlicher Gast das!“
„Und alleweil hat er gesagt: 'Die Wirtsanna soll her! Sie soll den Schlüssel bekommen!'“ —
„Das hat er gesagt? — Den Schlüssel? — Was für einen Schlüssel?“
„Wenn ich das wüsst! ’S ist ein Männlein wie aus einer andern Welt!“
Und Kaspar neigte sich nach seinem Weib hin: „Hör, Grete! Den leid ich nicht im Haus! Mir riecht die Sache nach der schwarzen Kunst.“
„Aber Kaspar! Das rechtschaffne, hübsche Mädchen, — die Wirtsanna und die schwarze Kunst — ein Hexenmeister! — Das passt nich zusammen!“ —
„Sel ist ja wahr! Aber der Teufel sucht sich manchmal die Besten aus! Grete, sei auf der Hut! — Will's auch sein!“ —
Und Kaspar machte an die äußere Seite der Stubentür mit seiner doppelten Wirtskreide drei Kreuze und ging dann in den Stall und legte vor die Türe zwei Besen übers Kreuz.
Das war Kaspars Machtentwicklung gegen die Hexerei. Weiteres ließ sich nicht tun. Und anderes weiß man heut noch nicht dagegen. Aber der Wachsamkeit des ängstlichen Wirtes genügte das nicht. Während sein Weib sich in der Küche zu schaffen machte, schlich er sich auf den Zehen an die Stubentüre, öffnete sie ein Spältchen und hielt das Ohr davor, ob der Hexenmeister schlafe, oder ob er sich etwa mit Teufelsgestänker herumschlage. Denn das Reißspiel zwischen Gesicht und Schultern war weiter nichts als ein Folterspiel, das die bösen Geister an dem Männlein ausübten. Soviel stand bereits fest in dem Wirtskopf.
Kaspar schlich hinein und stellte sich in gespannter Beobachtung vor dem Verdächtigen auf. Der schien zu schlafen. Plötzlich wandte er sich mit dem Gesicht dem Wächter zu, erhob den Kopf ein wenig und rief: „Die Anna! Ich muss mit ihr reden! — Der Schlüssel! — Den Schlüssel soll sie bekommen!“ —
„Her den Schlüssel! Will's besorgen!“, fiel Kaspar drein, aber mit einer Aufregung, dass ihm der kalte Schweiß auf die Stirne trat.
„Profaner Mensch, Er! Ohne Kunst und Weihe!“ — Damit sank der Gast wieder zurück in die Ecke und schloss die Augen. —
Kaspar spielte in dieser unheimlichen Nacht bei einem Ölfunselchen den treuen Hüter des Hauses gegen böse Geister, machte auch, da Ruhe im Dörflein war und alles in tiefstem Frieden schlief, noch außen über der Haustüre drei Kreuze mit seiner doppelten Kreide. Seine Grete hatte sich nach seinem Willen zur Ruhe begeben. Aber sie fand nicht, was sie suchen sollte. Denn der Gedanke an die schwarze Kunst, den Kaspar in ihr entzündet hatte, wollte sich nicht dämpfen lassen und brachte sie gegen Morgen in einen Angstschweiß. — Sie erhob sich und schlich sich in die Stube zu ihrem Mann, dessen Widerstand endlich gebrochen war und dem Schlaf sein Recht eingeräumt hatte. Sein Kopf ruhte schnarchend auf dem quer über den Tisch ausgestreckten Arm.
„’S ist ihm angetan“, dachte Grete und schüttelte den Kaspar munter.
Der fuhr in die Höh' vom Tisch mit dem Ruf: „Zurück, Satan! Den Schlüssel her, oder das Brot ist dir gebacken!“ —
Grete fuhr ihrem Kaspar mit der flachen Hand auf den Mund, den Wutausbruch zu stopfen. Denn ihre Furcht vor dem Jünger der schwarzen Kunst hatte sich ins Grenzenlose gesteigert.
„Kaspar, werd munter, dass nich am End noch was passiert!“
Da starrte er seine Frau an und dann das Männlein, das sich eben aufrichtete, und sprang auf.
Wie so das Ehepaar vor dem Schülzle stand, und alle drei einander anstarrten, wuchs hinter der Ruhebank mit durchgesessenem Überzug ein Schatten aus dem Boden, schwarz wie der Teufel, mit Hörnern. Der fing an, mit seinem Schweif zu wedeln und die klappernden Zähne zu fletschen. Grete fing an zu zittern und zu beben und klammerte sich an ihren Mann an, dass diesen auch die Furcht packte. Er erwischte seine Frau, zog sie nach und stürzte mit ihr zur Stube hinaus, die Türe hinter ich schließend.
„Profane Sippschaft! — Ohne Kunst und Weihe!“
Das hörte das Ehepaar noch. Dann standen sie miteinander auf der Gasse und sahen zurück nach der Haustür, die noch aufstand. Diese Gelegenheit benutzte ein schwarzer Kater, der in diesem Haus ein Abenteuer zu bestehen gehabt hatte, ins Freie zu kommen.
Es war aber nicht die „Orgelkatz“. —
Vor dem aufgeregten Ehepaar sauste sie hin.
Kaspar stieß seine Frau mit dem Ellenbogen an, und diese nickte stumm.
„Vor dem Kreuz flieht der Teufel“, flüsterte Kaspar seiner Frau zu. Nun wird schon Ruh im Haus werden.“
„Und nun will ich noch räuchern.“ —
„Recht, vielleicht werden wir den Kerl los!“ —
„'In einem rechtschaffenen Christenhaus ist nicht des Teufels Rast', hat unser alter Pfarrer bei unserer Konfirmation gesagt.“ —
Der Abzug der schwarzen Katze war von beruhigender Wirkung für die Märt’nschen Eheleute gewesen. Sie hofften sogar, dem geplagten Männlein durch ihre Kreide und Besenkreuze zur Befreiung von seinen Nöten verhelfen zu können. Die Macht der bösen Geister war für ihr Haus gebrochen.
Grete besorgte dem Ieidenden Gast ein Warmbier. Sie sagte zu ihrem Mann: „Ich habe
einen Muskatnuss ans Warmbier über's Kreuz gerieben und mein'n Spruch dazu gebet't. Das ist ein Segen von meiner Großmutter; der hilft.“ — Und Kaspar fügte hinzu: „Hauswurz, die auf dem Backhaus
geblüht hat, soll auch gut sein.“
Der Gast der heimgesuchten Wirtsleute hatte sich das Warmbier schmecken lassen. Aber alle Mittel gegen die bösen Geister blieben an ihm wirkungslos. Seine Nervenzerrüttung war bereits soweit vorgeschritten, dass das Leben nur noch an einem schwachen Faden hing. Die Krampfanfälle wiederholten sich immer heftiger.
Und dazwischen trat immer leidenschaftlicher der Begehr nach der Wirtsanna.
Kurz nach einem dieser für die Wirtsleute äußerst beängstigenden Anfälle traten der Stadtorganist und der Bohrmeister Helck ein. Es war nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr. — Sie hörten die Schilderung des Elends von der Frau Wirtin und wurden bald darauf vom Kaspar zur Beobachtung in die Stube gewiesen.
Beide Männer warteten nicht den Verlauf ab. Helck sagte: „Sowas kann ich nicht mit ansehen.“
Als sie vor dem Haus die Sache kopfschüttelnd miteinander besprachen, kam Molle stolziert mit seinem Brief nach Friedebach.
Den gewannen sie zu einem Zwischenbotengang zur Frau Querengässer, die kleine Anna nah Schlettwein zu rufen.
„Was der Schatzheber nur von der Wirtsanna will?“, beklügte sich Helck.
„Was für einen Hafen mag's damit haben?“, schob der Herr Organist dazwischen. „Die Mutter der Anna war doch eine Tochter vom dicken Schneider in Crock. Und dessen Frau war bei den Geißelweibern. So laufen die Fäden zum Schatzmann.“
„Ganz recht“, sagte Helck. „Aber die Schlüsselgeschichte! — Die Anna soll den Schlüssel bei ihm holen.“ —
„Wer kann herausbringen, was im Kopf eines Verrückten vorgeht?“ —
„Der Schlüssel braucht nicht von Eisen zu sein. Er kann damit auf eine Anweisung zur Schatzhebung zielen.“
„Und der kleinen Anna will er das Glück zuwenden, weil er herausgebracht haben mag, dass sie eine Enkelin von dem schönen Geißelweib ist.“ —
Die Konsequenzen der schwarzen Kunst und der Verrücktheit werden wohl erst im Grabe des Künstlers ihr Ende finden. Denn der Fluch des Irrtums ist seine Lebenszähigkeit! — —
Da kam die Wirtsanna in großer Hast an und wollte sich eben fragend an die im Gespräch befindlichen Männer wenden. Aber der aus dem Haus hervorstürzende Kaspar zerschnitt den Faden aller Grübelei mit der Kunde: „Eben hat er's ausgemacht! — Gott sei Dank!“
„Das Männlein, das verwichen im Wirtshaus übernachtete, als wir den lustigen Abend hatten“, erklärte Helck der Anna. —
„Und was wollte er von mir?“
„Er wollte Ihnen den Schlüssel zu seinen unfindbaren Schätzen geben.“
„Warum gerade mir?“
„Das ist sein Geheimnis. Und das muss nun mit ihm begraben werden"